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Modul 5, Bau­stein 2: 2.10 Text­ma­te­ri­al 3 - 5 (Vor­la­ge LS)

M 3a: Eis­ku­geln

  Rico und Oskar sind in­zwi­schen dicke Freun­de ge­wor­den. Rico ist hoch auf­ge­schos­sen, „tief­be­gabt“ und des­halb ein biss­chen lang­sam im Den­ken. Oskar ist klein, über­ängst­lich, aber ein wan­deln­des Le­xi­kon. Zu­sam­men sind die bei­den un­schlag­bar. Oskar wird von sei­nem Vater etwas ver­nach­läs­sigt. Des­halb freut er sich, dass er ein Wo­chen­en­de bei Rico und sei­ner Mut­ter in der Dief­fen­bach­stra­ße in Ber­lin ver­brin­gen darf. Rico zeigt sei­nem Freund das Stadt­vier­tel und lädt ihn zu einem Eis ein.

  … Der Eis­wa­gen stand am Au­ßen­rand des Parks. Als Oskar und ich dar­auf zu­gin­gen, guck­te uns die Ver­käu­fe­rin aus (B 1) Augen ent­ge­gen. Man hätte an­neh­men kön­nen, sie bräuch­te eine Bril­le, aber ich sah so­fort, dass sie bloß miese Laune hatte. Viel­leicht war sie (B 1) , weil drau­ßen die Sonne schien und sie in ihrem Eis­wa­gen frie­ren muss­te. Sie war etwa ge­nau­so alt wie Mama, aber nur halb so (B 1) und höchs­tens vier­tel so (B 1) .

„Guten Tag“, sagte ich. „Zwei Eis bitte.“

„Waf­fel oder Be­cher?“ Ihre Stim­me klang so (B 1) , wie ich mich fühle, wenn ich mit Frau Dah­ling den Mu­si­kan­ten­stadl gu­cken muss.

„Waf­fel.“

„Wie viele Ku­geln?“

„Viele.“

Sie ver­dreh­te die Augen, nahm eine von den ganz gro­ßen Waf­feln, fisch­te das Eis­ku­gel­raus­kratz­ding aus einem klei­nen Be­häl­ter mit Was­ser und ließ es auf­for­dernd klap­pern.

„Ich hätte gern eine Kugel Scho­ko“, sagte ich. „Und dann noch eine Scho­ko.“ Sie klatsch­te wort­los zwei Ku­geln in die Waf­fel und sah mich ab­war­tend an.

„Bitte noch eine.“ KLATSCH!

„Und noch eine.“

Jetzt war nicht nur ihr Blick (B 1) , son­dern auch ihr Mund. „Sag doch gleich, dass du vier­mal Scho­ko willst!“

„Ich will fünf­mal Scho­ko.“

„Viel­leicht ziehst du erst mal die fünf Schrau­ben in dei­nem Kopf an, Klei­ner!“

(B 3)

Die fünf­te Scho­ko­ku­gel klatsch­te in die Waf­fel. „War`s das?“

„Danke.“

„Danke ja oder danke nein?“

Ich streck­te ein­fach die Hand aus und nahm die Waf­fel an (B 3) . Jetzt stell­te sie sich auf die Ze­hen­spit­zen, beug­te sich über den Tre­sen und guck­te zu Oskar run­ter. „Und, kön­nen wir schon bis fünf zäh­len?“

„Wir kön­nen sogar bis sie­ben“, sagte Oskar (B 1) . „Bitte im Be­cher. Erd­bee­re, Pis­ta­zie, Ti­ra­mi­su, Va­nil­le, Ka­ra­mell, Zi­tro­ne, Erd­bee­re.“

Die Eis­frau schloss den Mund und mach­te ein (B 1) Ge­räusch mit den Zäh­nen, bevor sie ihn wie­der öff­ne­te. „Also zwei­mal Erd­bee­re?“

„Ja, aber eine ganz unten und eine ganz oben. Und wenn`s geht, die Zi­tro­ne nicht an die Pis­ta­zie kom­men las­sen. Und Va­nil­le nur, wenn da auch … sind da künst­li­che Aro­ma­stof­fe drin?“

„Jede Menge.“ Sie lä­chel­te Oskar so (B 1) an, als woll­te sie sagen: Genug, um klei­ne Kin­der, die mir auf die Ner­ven gehen, so rich­tig schön zu ver­gif­ten.

„Gut.“ Ich konn­te es nicht sehen, aber ich wette, Oskar zuck­te hin­ter der gro­ßen schwar­zen Son­nen­bril­le nicht mit der Wim­per. „Dann bitte lie­ber zwei Ku­geln

Va­nil­le und dafür keine Zi­tro­ne. Die echte Ge­würz­va­nil­le ist eine Or­chi­dee, wis­sen Sie.“

„In­ter­es­siert mich nicht.“

Oskar starr­te sie an. Seine klei­nen Fin­ger mit den ab­ge­kau­ten Nä­geln be­gan­nen einen Trom­mel­wir­bel auf dem Tre­sen zu schla­gen, ta-ramm, ta-ramm. „Die Va­nil­le­pflan­ze“, er­klär­te er (B 1) wei­ter, „muss von Ar­bei­te­rin­nen auf Ma­da­gas­kar und Réunion mit Kak­tus- oder Bam­bus­sta­cheln künst­lich be­stäubt wer­den, um in aus­rei­chen­den Men­gen auf dem Welt­markt ver­kauft wer­den zu kön­nen.“

„Tat­säch­lich.“

Das Eis­ku­gel­raus­kratz­ding klap­per­te. Die erste Kugel Erd­beer­eis lan­de­te im Be­cher.

„Das ist keine (B 1) Ar­beit“, ta-ramm, ta-ramm, „und sie wird schlecht be­zahlt.“

„So, so.“

ZACK, Pis­ta­zie, ZACK, Ti­ra­mi­su …

„Und künst­li­che Va­nil­le ist völ­lig un­schäd­lich.“

„Was du nicht sagst. Wo war noch mal das Ka­ra­mell?“

Os­kars Fin­ger kamen zur Ruhe. „An fünf­ter Stel­le. Aber zäh­len konn­ten wir ja ei­gent­lich bis sie­ben.“ Die Eis­frau schnaub­te bloß. Oskar wand­te sich zu mir um. „In dei­nem Eis ist sie auch drin.“

Ich starr­te meine Waf­fel an, als hätte sich ein Tier­chen darin ver­steckt. „Wer?“

„Die künst­li­che Va­nil­le.“

Ich nick­te und tipp­te mit der Zun­gen­spit­ze vor­sich­tig gegen die Scho­ko­ku­geln. Sie schmeck­ten okay. Hin­ter mir klap­per­te das Eis­ku­gel­raus­kratz­ding immer schnel­ler. Ich hatte noch nie über­legt, ob ir­gend­wo ir­gend­wer dafür schlecht be­zahlt wurde, dass er mit Kak­tus­sta­cheln was na­tür­lich Un­schäd­li­ches zu essen her­stell­te, das künst­lich ge­nau­so un­schäd­lich war.

Die Eis­frau reich­te Oskar sei­nen Be­cher über den Tre­sen nach unten und ich hielt ihr den Zeh­n­eu­ro­schein hin. Als sie mir das Wech­sel­geld her­aus­gab, tat ich so, als würde ich es schnell nach­zäh­len, bevor ich es in die Ho­sen­ta­sche klim­pern ließ.

„Tschüs“, sagte ich. „Bis bald mal wie­der.“

Die Eis­frau hob das Eis­ku­gel­raus­kratz­ding wie eine Waffe und mur­mel­te etwas wie: Nur über meine Lei­che. …

Aus: An­dre­as Stein­hö­fel: Rico, Oskar und das Herz­ge­bre­che. Il­lus­tra­tio­nen von Peter Schös­sow. © Carl­sen Ver­lag GmbH, Ham­burg 2009. S. 36−40.


 

M 3b: Eis­ku­geln

  … Der Eis­wa­gen stand am Au­ßen­rand des Parks. Als Oskar und ich dar­auf zu­gin­gen, guck­te uns die Ver­käu­fe­rin aus schlit­zi­gen Augen ent­ge­gen. Man hätte an­neh­men kön­nen, sie bräuch­te eine Bril­le, aber ich sah so­fort, dass sie bloß miese Laune hatte. Viel­leicht war sie stin­kig, weil drau­ßen die Sonne schien und sie in ihrem Eis­wa­gen frie­ren muss­te. Sie war etwa ge­nau­so alt wie Mama, aber nur halb so blond und höchs­tens vier­tel so hübsch.

„Guten Tag“, sagte ich. „Zwei Eis bitte.“

„Waf­fel oder Be­cher?“ Ihre Stim­me klang so ge­nervt, wie ich mich fühle, wenn ich mit Frau Dah­ling den Mu­si­kan­ten­stadl gu­cken muss.

„Waf­fel.“

„Wie viele Ku­geln?“

„Viele.“

Sie ver­dreh­te die Augen , nahm eine von den ganz gro­ßen Waf­feln, fisch­te das Eis­ku­gel­raus­kratz­ding aus einem klei­nen Be­häl­ter mit Was­ser und ließ es auf­for­dernd klap­pern.

„Ich hätte gern eine Kugel Scho­ko“, sagte ich. „Und dann noch eine Scho­ko.“ Sie klatsch­te wort­los zwei Ku­geln in die Waf­fel und s ah mich ab­war­tend an.

„Bitte noch eine.“ KLATSCH!

„Und noch eine.“

Jetzt war nicht nur ihr Blick ver­knif­fen, son­dern auch ihr Mund . „Sag doch gleich, dass du vier­mal Scho­ko willst!“

„Ich will fünf­mal Scho­ko.“

„Viel­leicht ziehst du erst mal die fünf Schrau­ben in dei­nem Kopf an, Klei­ner!“ Also echt! Ich press­te die Lip­pen auf­ein­an­der. So was ver­saut mir voll den Ap­pe­tit. Wenn man so schnell­bis fünf zäh­len könn­te, wie man­hin­ter­ein­an­der Lust auf Scho­ko hat, ohne es vor­her zu wis­sen, würde man das ja wohl tun.

Die fünf­te Scho­ko­ku­gel klatsch­te in die Waf­fel. „War`s das?“

„Danke.“

„Danke ja oder danke nein?“

Ich streck­te ein­fach die Hand aus und nahm die Waf­fel an . So eine un­freund­li­che Zicke. Jetzt stell­te sie sich auf die Ze­hen­spit­zen, beug­te sich über den Tre­sen und guck­te zu Oskar run­ter. „Und, kön­nen wir schon bis fünf zäh­len?“

„Wir kön­nen sogar bis sie­ben“, sagte Oskar lie­bens­wür­dig. „Bitte im Be­cher. Erd­bee­re, Pis­ta­zie, Ti­ra­mi­su, Va­nil­le, Ka­ra­mell, Zi­tro­ne, Erd­bee­re.“

Die Eis­frau schloss den Mund und mach­te ein klei­nes knir­schen­des Ge­räusch mit den Zäh­nen , bevor sie ihn wie­der öff­ne­te. „Also zwei­mal Erd­bee­re?“

„Ja, aber eine ganz unten und eine ganz oben. Und wenn`s geht, die Zi­tro­ne nicht an die Pis­ta­zie kom­men las­sen. Und Va­nil­le nur, wenn da auch … sind da künst­li­che Aro­ma­stof­fe drin?“

„Jede Menge.“ Sie lä­chel­te Oskar so böse an, als woll­te sie sagen: Genug, um klei­ne Kin­der, die mir auf die Ner­ven gehen, so rich­tig schön zu ver­gif­ten.

„Gut.“ Ich konn­te es nicht sehen, aber ich wette, Oskar zuck­te hin­ter der gro­ßen schwar­zen Son­nen­bril­le nicht mit der Wim­per. „Dann bitte lie­ber zwei Ku­geln Va­nil­le und dafür keine Zi­tro­ne. Die echte Ge­würz­va­nil­le ist eine Or­chi­dee, wis­sen Sie.“

„In­ter­es­siert mich nicht.“

Oskar starr­te sie an. Seine klei­nen Fin­ger mit den ab­ge­kau­ten Nä­geln be­gan­nen einen Trom­mel­wir­bel auf dem Tre­sen zu schla­gen , ta-ramm, ta-ramm . „Die Va­nil­le­pflan­ze“, er­klär­te er un­be­irrt wei­ter, „muss von Ar­bei­te­rin­nen auf Ma­da­gas­kar und Réunion mit Kak­tus- oder Bam­bus­sta­cheln künst­lich be­stäubt wer­den, um in aus­rei­chen­den Men­gen auf dem Welt­markt ver­kauft wer­den zu kön­nen.“

„Tat­säch­lich.“

Das Eis­ku­gel­raus­kratz­ding klap­per­te. Die erste Kugel Erd­beer­eis lan­de­te im Be­cher.

„Das ist keine schö­ne Ar­beit“, ta-ramm, ta-ramm , „und sie wird schlecht be­zahlt.“

„So, so.“

ZACK, Pis­ta­zie, ZACK, Ti­ra­mi­su …

„Und künst­li­che Va­nil­le ist völ­lig un­schäd­lich.“

„Was du nicht sagst. Wo war noch mal das Ka­ra­mell?“

Os­kars Fin­ger kamen zur Ruhe . „An fünf­ter Stel­le. Aber zäh­len konn­ten wir ja ei­gent­lich bis sie­ben.“ Die Eis­frau schnaub­te bloß. Oskar wand­te sich zu mir um. „In dei­nem Eis ist sie auch drin.“

Ich starr­te meine Waf­fel an, als hätte sich ein Tier­chen darin ver­steckt. „Wer?“

„Die künst­li­che Va­nil­le.“

Ich nick­te und tipp­te mit der Zun­gen­spit­ze vor­sich­tig gegen die Scho­ko­ku­geln . Sie schmeck­ten okay. Hin­ter mir klap­per­te das Eis­ku­gel­raus­kratz­ding immer schnel­ler. Ich hatte noch nie über­legt, ob ir­gend­wo ir­gend­wer dafür schlecht be­zahlt wurde, dass er mit Kak­tus­sta­cheln was na­tür­lich Un­schäd­li­ches zu essen her­stell­te, das künst­lich ge­nau­so un­schäd­lich war.

Die Eis­frau reich­te Oskar sei­nen Be­cher über den Tre­sen nach unten und ich hielt ihr den Zeh­n­eu­ro­schein hin. Als sie mir das Wech­sel­geld her­aus­gab, tat ich so, als würde ich es schnell nach­zäh­len, bevor ich es in die Ho­sen­ta­sche klim­pern ließ.

„Tschüs“, sagte ich. „Bis bald mal wie­der.“

Die Eis­frau hob das Eis­ku­gel­raus­kratz­ding wie eine Waffe und mur­mel­te etwas wie: Nur über meine Lei­che. …

Lö­sungs­hin­wei­se:

  Zu Lern­auf­ga­be A 2: Die Stel­len mit Kör­per­spra­che sind un­ter­stri­chen.

Aus: An­dre­as Stein­hö­fel: Rico, Oskar und das Herz­ge­bre­che. Il­lus­tra­tio­nen von Peter Schös­sow. Carl­sen Ver­lag GmbH, Ham­burg 2009. S. 36−40.

 

M 4a: Die Kess­ler-Zwil­lin­ge

  In allen Zei­tun­gen und im Fern­se­hen wurde dar­über be­rich­tet, wie Rico und Oskar in den Som­mer­fe­ri­en den ALDI-Kid­nap­per zur Stre­cke ge­bracht haben. Seit­dem sind die bei­den be­rühmt. Alle Be­woh­ner der Dief­fen­bach­stra­ße spre­chen sie auf ihr Aben­teu­er an. Aber die neu­gie­rigs­ten Nach­barn sind ohne Zwei­fel die Kess­ler-Schwes­tern.

  … Alle im Haus wis­sen, dass Mama bis mit­tags schläft und man sie nicht we­cken darf. Die Ein­zi­gen, die sich daran nicht hal­ten, sind die dop­pel­ten Kess­ler-Zwil­lin­ge.

Bitte nicht , dach­te ich, als ich die Tür auf­mach­te. Sie waren es lei­der bitte doch. Zwar nur die Hälf­te, aber aus­ge­rech­net die Mäd­chen.

„Hallo, Rico!“ (A 3) Mele mir ins Ge­sicht. Ei­gent­lich heißt sie Se­me­le, aber nie­mand

nennt sie so. Über ihre Schul­ter hin­weg sah ich die Tür zur obe­ren Kess­ler-Woh­nung offen ste­hen. „Wir sind wie­der da!“

Das wuss­te spä­tes­tens jetzt das ganze Haus. Mit etwas Glück hatte auch Fitz­ke es ge­hört und tauch­te gleich auf, um Mele wegen Ru­he­stö­rung oder öf­fent­li­cher Er­re­gung von Är­ger­nis zu­sam­men­zu­stau­chen. …

„Wann seid ihr wie­der­ge­kom­men?“, sagte ich.

„Heute Mor­gen, ganz früh!“, (A 3) Mele. „Wir haben im Auto ge­schla­fen! Jo­na­than hat ge­schnarcht!“

(B 3) Von den dop­pel­ten Kess­lers sind Jo­na­than und Lud­wig das harm­lo­se­re Pär­chen, aber sie sind ja auch erst sechs. Mele und Afra sind knapp ein Jahr älter, aber min­des­tens zehn Jahre ner­vi­ger. Ich stell­te mir lie­ber nicht vor, wie die Kess­lers zu sechst in ihrem rie­si­gen Wagen ge­hockt hat­ten, ein­ge­quetscht wie (A 5) , von denen eine auch noch schnarch­te. Ich hab`s nicht gerne eng um mich rum.

Afra stand neben ihrer Schwes­ter, (A 3) nur al­bern und glotz­te mich an. Ihre Zunge lugte ein Stück­chen aus dem Mund. Ich hatte das schreck­li­che Ge­fühl, dass sie mich wie (A 5) . Neben ihr, auf der Tür­schwel­le, war eine klei­ne, grüne Sport­ta­sche ab­ge­stellt.

Es gibt ein­ei­ige und zwei­ei­ige Zwil­lin­ge. Die aus einem Ei sehen genau gleich aus, und manch­mal wün­sche ich mir, das träfe auch auf die Kess­ler-Mäd­chen zu. Dann würde ich mich nur halb so oft er­schre­cken, wenn ich einer von ihnen im Trep­pen­haus be­geg­ne. Mele und Afra tra­gen die Haare zwar beide schul­ter­lang, aber das war`s lei­der auch schon mit der Ähn­lich­keit. Mele hat blon­de Lo­cken und blaue Augen und ist grö­ßer als ihre Schwes­ter, wäh­rend Afra brau­ne glat­te Haare hat und graue Augen.

„Was wollt ihr?“, sagte ich.

„Hallo sagen!“, (A 3) Mele. „Dür­fen wir rein­kom­men?“ Afra (A 3) .

„Meine Mut­ter schläft noch“, (A 3) ich. „Also schrei ge­fäl­ligst nicht so hier rum!“

„Kön­nen wir trotz­dem rein­kom­men?“, (A 3) Mele, end­lich in nor­ma­ler Laut­stär­ke.

„Un­se­re Fe­ri­en waren toll, wie waren deine? Hast du uns ver­misst?“

„Kann sein, ich hab mal an euch ge­dacht.“ (B 3)

Es war ganz klar, dass Mele und Afra bloß hier waren, weil sie alles, was sie im Ur­laub über die Ent­füh­run­gen in Ber­lin ge­hört, ge­se­hen oder ge­le­sen hat­ten, noch mal von mir hören woll­ten. Jede Ein­zel­heit. Der Ent­füh­rer hatte im sel­ben Haus ge­wohnt wie sie. Ich wohn­te im sel­ben Haus wie sie. Damit war ich min­des­tens so gut wie ein Pop­star. Und nicht nur ich, son­dern selbst­ver­ständ­lich auch -

„Das ist der an­de­re!“, (A 3) Afra plötz­lich.

Ich dreh­te mich um. Hin­ter mir stand Oskar. Er hielt eine Schrip­pe in der Hand, von der zu bei­den Sei­ten das Nu­tel­la förm­lich run­ter­tropf­te, und seine Ober­lip­pe war braun be­schmiert. Er sah völ­lig be­knackt aus mit der rie­si­gen Son­nen­bril­le, aber Afra starr­te ihn trotz­dem so be­geis­tert an wie (A 5). Woran man sieht, dass man­che Mäd­chen nicht nur sen­si­bel und leicht ver­letz­lich sind, son­dern auch hoff­nungs­los be­scheu­ert, denn es würde ja wohl kein Junge auf der Welt frei­wil­lig Schlüp­fer mir ro­sa­far­be­nen Blüm­chen oder klei­nen Schmet­ter­lin­gen drauf an­zie­hen.

„Was für ein an­de­rer?“, sagte Oskar.

Neben ihm ging die Schlaf­zim­mer­tür auf und Mama trat in den Flur, völ­lig ver­schla­fen. Sie hatte sich nicht mal die Mühe ge­macht, ihren Mor­gen­man­tel mit den schö­nen ja­pa­ni­schen Schrift­zei­chen über­zu­wer­fen. Ein T-Shirt hatte sie auch nicht an. Oskar guck­te ent­geis­tert auf ihren nack­ten Busen. Ich war heil­froh, dass Mama ges­tern nicht bei einem Rock­kon­zert ge­we­sen war; so trug sie im­mer­hin noch einen Slip. „Mele?“, sagte sie mit einer Stim­me wie (A 5) .

„Ja, Frau Do­ret­ti?“

„Schnapp dir deine Schwes­ter. Und dann seht zu, dass ihr Land ge­winnt. Be­suchs­zeit ist spä­ter.“

„Aber-“

„Ich hab noch zwei freie Plät­ze vor mei­nem Fens­ter. Wenn ich euch da raus­hän­ge, den­ken die Leute, das Haus hätte `ne Kra­wat­te.“ (A 3)

„Wir woll­ten ja bloß −“ (A 3)

„Ab­marsch!“ (A 3

„Genau!“ Ich zeig­te nach unten. „Und ver­gesst eu­re­Ta­sche nicht.“

Mele warf den Lo­cken­kopf in den Na­cken, wir­bel­te herum und schoss auf ihre Woh­nung zu, ge­folgt von Afra, die aus ir­gend­ei­nem Grund schon wie­der ki­cher­te.

Kurz vor ihre Tür dreh­te sie sich noch mal um. „Die blöde Ta­sche ge­hört uns nicht“, (A 3) . „Die stand schon da.“

Sie knall­te ihre Tür so laut und fest zu, dass das Trep­pen­ge­län­der wa­ckel­te. Fitz­ke konn­te un­mög­lich zu Hause sein. Er wäre sonst längst wie (A 5) auf die Mäd­chen run­ter­ge­kom­men.

„Zwei“, sagte Oskar neben mir ab­we­send.

„Was?“

„Das Haus hätte zwei Kra­wat­ten.“ (A 3)

Aus: An­dre­as Stein­hö­fel: Rico, Oskar und das Herz­ge­bre­che. Il­lus­tra­tio­nen von Peter Schös­sow. © Carl­sen Ver­lag GmbH, Ham­burg 2009. S. 80−84

 

M 4b: Die Kess­ler-Zwil­lin­ge

  … Alle im Haus wis­sen, dass Mama bis mit­tags schläft und man sie nicht we­cken darf. Die Ein­zi­gen, die sich daran nicht hal­ten, sind die dop­pel­ten Kess­ler- Zwil­lin­ge.

Bitte nicht, dach­te ich, als ich die Tür auf­mach­te. Sie waren es lei­der bitte doch. Zwar nur die Hälf­te, aber aus­ge­rech­net die Mäd­chen.

„Hallo, Rico!“ brüll­te Mele mir ins Ge­sicht. Ei­gent­lich heißt sie Se­me­le, aber nie­mand nennt sie so. Über ihre Schul­ter hin­weg sah ich die Tür zur obe­ren Kess­ler-Woh­nung offen ste­hen. „Wir sind wie­der da!“

Das wuss­te spä­tes­tens jetzt das ganze Haus. Mit etwas Glück hatte auch Fitz­ke es ge­hört und tauch­te gleich auf, um Mele wegen Ru­he­stö­rung oder öf­fent­li­cher Er­re­gung von Är­ger­nis zu­sam­men­zu­stau­chen. …

„Wann seid ihr wie­der­ge­kom­men?“, sagte ich.

„Heute Mor­gen, ganz früh!“, brüll­te Mele. „Wir haben im Auto ge­schla­fen! Jo­na­than hat ge­schnarcht!“

Tolle Neu­ig­kei­ten. Von den dop­pel­ten Kess­lers sind Jo­na­than und Lud­wig das harm­lo­se­re Pär­chen, aber sie sind ja auch erst sechs. Mele und Afra sind knapp ein Jahr älter, aber min­des­tens zehn Jahre ner­vi­ger. Ich stell­te mir lie­ber nicht vor, wie die Kess­lers zu sechst in ihrem rie­si­gen Wagen ge­hockt hat­ten, ein­ge­quetscht wie die Öl­sar­di­nen, von denen eine auch noch schnarch­te. Ich hab`s nicht gerne eng um mich rum.

Afra stand neben ihrer Schwes­ter, ki­cher­te nur al­bern und glotz­te mich an. Ihre Zunge lugte ein Stück­chen aus dem Mund. Ich hatte das schreck­li­che Ge­fühl, dass sie mich wie ein Jack Rus­sell an­sprin­gen und ab­le­cken woll­te. Neben ihr, auf der Tür­schwel­le, war eine klei­ne, grüne Sport­ta­sche ab­ge­stellt.

Es gibt ein­ei­ige und zwei­ei­ige Zwil­lin­ge. Die aus einem Ei sehen genau gleich aus, und manch­mal wün­sche ich mir, das träfe auch auf die Kess­ler-Mäd­chen zu.

Dann würde ich mich nur halb so oft er­schre­cken, wenn ich einer von ihnen im Trep­pen­haus be­geg­ne. Mele und Afra tra­gen die Haare zwar beide schul­ter­lang, aber das war`s lei­der auch schon mit der Ähn­lich­keit. Mele hat blon­de Lo­cken und blaue Augen und ist grö­ßer als ihre Schwes­ter, wäh­rend Afra brau­ne glat­te Haare hat und graue Augen.

„Was wollt ihr?“, sagte ich.

„Hallo sagen!“, brüll­te Mele. „Dür­fen wir rein­kom­men?“ Afra gig­gel­te.

„Meine Mut­ter schläft noch“, flüs­ter­te ich. „Also schrei ge­fäl­ligst nicht so hier rum!“

„Kön­nen wir trotz­dem rein­kom­men?“, sagte Mele, end­lich in nor­ma­ler Laut­stär­ke. „Un­se­re Fe­ri­en waren toll, wie waren deine? Hast du uns ver­misst?“

„Kann sein, ich hab mal an euch ge­dacht.“

Man muss vor­sich­tig sein mit dem, was man zu klei­nen Mäd­chen sagt. Sie fan­gen sonst ruck, zuck an zu heu­len, denn sie sind sen­si­ble und leicht ver­letz­li­che Wesen. Das hat mir Jule mal er­klärt, als sie sich mit Mama dar­über un­ter­hielt, dass Män­ner auf den Ge­füh­len von Frau­en immer nur rum­tram­peln.

Es war ganz klar, dass Mele und Afra bloß hier waren, weil sie alles, was sie im Ur­laub über die Ent­füh­run­gen in Ber­lin ge­hört, ge­se­hen oder ge­le­sen hat­ten, noch mal von mir hören woll­ten. Jede Ein­zel­heit. Der Ent­füh­rer hatte im sel­ben Haus ge­wohnt wie sie. Ich wohn­te im sel­ben Haus wie sie. Damit war ich min­des­tens so gut wie ein Pop­star. Und nicht nur ich, son­dern selbst­ver­ständ­lich auch −

„Das ist der an­de­re!“, röhr­te Afra plötz­lich. Ich dreh­te mich um. Hin­ter mir stand Oskar. Er hielt eine Schrip­pe in der Hand, von der zu bei­den Sei­ten das Nu­tel­la förm­lich run­ter­tropf­te, und seine Ober­lip­pe war braun be­schmiert. Er sah völ­lig be­knackt aus mit der rie­si­gen Son­nen­bril­le, aber Afra starr­te ihn trotz­dem so be­geis­tert an wie eins von die­sen krei­schen­den Mäd­chen, die bei Rock­kon­zer­ten den Jun­gen auf der Bühne Ted­dy­bä­ren und ihre Un­ter­wä­sche zu­wer­fen. Woran man sieht, dass man­che Mäd­chen nicht nur sen­si­bel und leicht ver­letz­lich sind, son­dern auch hoff­nungs­los be­scheu­ert, denn es würde ja wohl kein Junge auf der Welt frei­wil­lig Schlüp­fer mir ro­sa­far­be­nen Blüm­chen oder klei­nen Schmet­ter­lin­gen drauf an­zie­hen „Was für ein an­de­rer?“, sagte Oskar.

Neben ihm ging die Schlaf­zim­mer­tür auf und Mama trat in den Flur, völ­lig ver­schla­fen. Sie hatte sich nicht mal die Mühe ge­macht, ihren Mor­gen­man­tel mit den schö­nen ja­pa­ni­schen Schrift­zei­chen über­zu­wer­fen. Ein T-Shirt hatte sie auch nicht an. Oskar guck­te ent­geis­tert auf ihren nack­ten Busen. Ich war heil­froh, dass Mama ges­tern nicht bei einem Rock­kon­zert ge­we­sen war; so trug sie im­mer­hin noch einen Slip.

„Mele?“, sagte sie mit einer Stim­me wie ein Eis­wür­fel.

„Ja, Frau Do­ret­ti?“

„Schnapp dir deine Schwes­ter. Und dann seht zu, dass ihr Land ge­winnt. Be­suchs­zeit ist spä­ter.“

„Aber −“

„Ich hab noch zwei freie Plät­ze vor mei­nem Fens­ter. Wenn ich euch da raus­hän­ge, den­ken die Leute, das Haus hätte `ne Kra­wat­te.“

„Wir woll­ten ja bloß …“

„Ab­marsch!“

„Genau!“ Ich zeig­te nach unten. „Und ver­gesst eu­re­Ta­sche nicht.“

Mele warf den Lo­cken­kopf in den Na­cken, wir­bel­te herum und schoss auf ihre Woh­nung zu, ge­folgt von Afra, die aus ir­gend­ei­nem Grund schon wie­der ki­cher­te. Kurz vor ihrer Tür dreh­te sie sich noch mal um. „Die blöde Ta­sche ge­hört uns nicht“, rief sie schnip­pisch. „Die stand schon da.“

Sie knall­te ihre Tür so laut und fest zu, dass das Trep­pen­ge­län­der wa­ckel­te. Fitz­ke konn­te un­mög­lich zu Hause sein. Er wäre sonst längst wie ein Ge­wit­ter auf die Mäd­chen run­ter­ge­kom­men.

„Zwei“, sagte Oskar neben mir ab­we­send.

„Was?“

„Das Haus hätte zwei Kra­wat­ten.“ …

Aus: An­dre­as Stein­hö­fel: Rico, Oskar und das Herz­ge­bre­che. Il­lus­tra­tio­nen von Peter Schös­sow. © Carl­sen Ver­lag GmbH, Ham­burg 2009. S. 80−84

 

M 5a: Herr Fitz­ke

  Zu den Be­woh­nern der Dief­fen­bach­stra­ße ge­hört auch Herr Fitz­ke. Er ist bei allen Nach­barn ziem­lich un­be­liebt, weil er so gran­tig und so un­ge­pflegt ist. Aber er spiel­te bei der Fest­nah­me des ALDI-Kid­nap­pers eine wich­ti­ge Rolle. Seit­dem ver­hält er sich etwas freund­li­cher zu Rico. Aber der muss sich noch daran ge­wöh­nen.

  … „Herr Fitz­ke!“

Er sah aus wie ein (A 4) Mensch. Seine Haare, die ihm sonst in alle Rich­tun­gen vom Kopf ab­ste­hen, waren (A 4) und (A 4). Ich ent­deck­te keine ein­zi­ge Bart­stop­pel in dem (A 4) Ge­sicht. Au­ßer­dem trug Fitz­ke einen Anzug und nicht wie sonst, wenn er das Haus ver­ließ, sei­nen (A 4) Py­ja­ma. Das graue Ja­ckett war etwas (A 4) an den Är­meln, aber (A 4). Und falls die Hose müf­fel­te, dann auf jeden Fall nicht in un­se­re Rich­tung.

„Tach, Do­ret­ti.“

(B 3) Nor­ma­ler­wei­se spricht er mit so (A 4) Stim­me, als soll­te (A 5). Nor­ma­ler­wei­se lä­chelt Fitz­ke auch nicht, aber jetzt ver­zog er die Mund­win­kel mil­li­me­ter­wei­se nach oben, als hätte (A 5).

„Plätz­chen und Saft“, sagte er und hob seine Ein­kaufs­ta­sche hoch. „Mehr gibt`s nach­her nicht, ich will also kein Ge­me­cker hören. Drei Uhr bei mir.“

Ich konn­te ihn nur an­star­ren.

„Nun glotz nicht so (A 4) !“ Er zeig­te neben mich, als wäre (A 5) . „Den da kannst du mit­brin­gen.“

„Der da heißt Oskar“, sagte ich.

„Weiß ich“, schnapp­te Fitz­ke, „stand ja in jeder Zei­tung! Au­ßer­dem sind wir uns schon mal be­geg­net, im Trep­pen­haus.“ Jetzt sah er Oskar di­rekt an. „Du bist der klei­ne Schei­ßer aus der Klaps­müh­le, der meine Tür ein­schla­gen woll­te. Wo ist dein Sturz­helm?“

„Zu Hause ge­las­sen“, mur­mel­te Oskar.

„Was? Zieh die Bril­le ab, sonst kann ich dich nicht hören.“

Oskar schob wort­los die Bril­le ein Stück hoch. Seine grü­nen Augen waren so trau­rig und trübe wie (A 5) . Nor­ma­ler­wei­se hätte er sich sol­che Frech­hei­ten nie­mals ge­fal­len las­sen. Mir fiel lei­der auch nichts Pas­sen­des ein, weil in mei­nem Kopf seit einer Mi­nu­te die Bin­go­trom­mel durch­dreh­te. Fitz­ke war Fitz­ke, aber er war auch wie­der nicht Fitz­ke.

„Du Knall­tü­te, das war ein Scherz!“, blaff­te Fitz­ke. „Setz die Bril­le wie­der auf. Run­ter­fal­len kann sie ja wohl kaum, bei den Ohren.“

„Je­man­den wie Sie be­su­che ich nicht.“ Os­kars Stim­me wa­ckel­te. Seine Fin­ger be­weg­ten sich zu sei­nen Sei­ten, als (A 5) . „Sie sind bös­ar­tig.“

Jetzt wa­ckel­te auch noch sein Kinn. Im nächs­ten Mo­ment dreh­te er sich um und stürm­te über die Quer­stra­ße davon, die Dief­fe run­ter. Er schau­te nicht mal nach links oder rechts oder an­ders­rum.

Fitz­ke reck­te den Kopf und sah ihm nach. Von unten konn­te ich ihm genau in die Na­sen­lö­cher gu­cken. Es hin­gen lange Här­chen raus, die er bei der Kör­per­pfle­ge wohl über­se­hen hatte. „Was ist los mit dem?“, schnaub­te er. „Ver­trägt der kei­nen Spaß?“

„Er hat es an den Ner­ven“, sagte ich und spur­te­te eben­falls los.

„Und ich hab`s am Her­zen!“ schrie Fitz­ke mir nach. „Ihr zwei, drei Uhr, vier­ter Stock, ver­stan­den? Plätz­chen und Saft!“

Meine Schrit­te echo­ten seine Worte auf dem Kopf­stein­pflas­ter, zwei, drei, vier… zwei, drei, vier … Ir­gend­wie pass­te es zu die­sem Tag, dass vorne die Eins fehl­te.

Aus: An­dre­as Stein­hö­fel: Rico, Oskar und das Herz­ge­bre­che. Il­lus­tra­tio­nen von Peter Schös­sow. © Carl­sen Ver­lag GmbH, Ham­burg 2009. S. 87 - 89

 

M 5b: Herr Fitz­ke

  … „Herr Fitz­ke!“

Er sah aus wie ein neuer Mensch. Seine Haare, die ihm sonst in alle Rich­tun­gen vom Kopf ab­ste­hen, waren ge­wa­schen und fri­siert. Ich ent­deck­te keine ein­zi­ge Bart­stop­pel in dem ver­knit­ter­ten Ge­sicht. Au­ßer­dem trug Fitz­ke einen Anzug und nicht wie sonst, wenn er das Haus ver­ließ, sei­nen mie­fi­gen ge­streif­ten Py­ja­ma. Das graue Ja­ckett war etwas ab­ge­wetzt an den Är­meln, aber blitz­sau­ber. Und falls die Hose müf­fel­te, dann auf jeden Fall nicht in un­se­re Rich­tung.

„Tach, Do­ret­ti.“

Ich konn­te es nicht glau­ben. Nor­ma­ler­wei­se nennt er mich Schwach­kopf. Nor­ma­ler­wei­se spricht er mit so knur­ri­ger Stim­me, als soll­te jedes ein­zel­ne Wort einem in den Hin­tern bei­ßen. Nor­ma­ler­wei­se lä­chelt Fitz­ke auch nicht, aber jetzt ver­zog er die Mund­win­kel mil­li­me­ter­wei­se nach oben, als hätte ihm je­mand er­klärt, wie ein Lä­cheln in etwa aus­sieht, wenn man lange genug übt.

„Plätz­chen und Saft“, sagte er und hob seine Ein­kaufs­ta­sche hoch. „Mehr gibt`s nach­her nicht, ich will also kein Ge­me­cker hören. Drei Uhr bei mir.“

Ich konn­te ihn nur an­star­ren.

„Nun glotz nicht so däm­lich!“ Er zeig­te neben mich, als wäre da so­eben zu­fäl­lig ir­gend­was vom Him­mel auf den Geh­steig ge­stürzt oder aus dem Rasen zwi­schen den Pflas­ter­stei­nen raus­ge­wach­sen. „Den da kannst du mit­brin­gen.“

„Der da heißt Oskar“, sagte ich.

„Weiß ich“, schnapp­te Fitz­ke, „stand ja in jeder Zei­tung! Au­ßer­dem sind wir uns schon mal be­geg­net, im Trep­pen­haus.“ Jetzt sah er Oskar di­rekt an. „Du bist der klei­ne Schei­ßer aus der Klaps­müh­le, der meine Tür ein­schla­gen woll­te. Wo ist dein Sturz­helm?“

„Zu Hause ge­las­sen“, mur­mel­te Oskar.

„Was? Zieh die Bril­le ab, sonst kann ich dich nicht hören.“

Oskar schob wort­los die Bril­le ein Stück hoch. Seine grü­nen Augen waren so trau­rig und trübe wie ein Teich vol­ler Algen. Nor­ma­ler­wei­se hätte er sich sol­che Frech­hei­ten nie­mals ge­fal­len las­sen. Mir fiel lei­der auch nichts Pas­sen­des ein, weil in mei­nem Kopf seit einer Mi­nu­te die Bin­go­trom­mel durch­dreh­te. Fitz­ke war Fitz­ke, aber er war auch wie­der nicht Fitz­ke.

„Du Knall­tü­te, das war ein Scherz!“, blaff­te Fitz­ke. „Setz die Bril­le wie­der auf. Run­ter­fal­len kann sie ja wohl kaum, bei den Ohren.“

„Je­man­den wie Sie be­su­che ich nicht.“ Os­kars Stim­me wa­ckel­te. Seine Fin­ger be­weg­ten sich zu sei­nen Sei­ten, als such­ten sie etwas, wor­auf sie her­um­trom­meln konn­ten. „Sie sind bös­ar­tig.“

Jetzt wa­ckel­te auch noch sein Kinn. Im nächs­ten Mo­ment dreh­te er sich um und stürm­te über die Quer­stra­ße davon, die Dief­fe run­ter. Er schau­te nicht mal nach links oder rechts oder an­ders­rum.

Fitz­ke reck­te den Kopf und sah ihm nach. Von unten konn­te ich ihm genau in die Na­sen­lö­cher gu­cken. Es hin­gen lange Här­chen raus, die er bei der Kör­per­pfle­ge wohl über­se­hen hatte. „Was ist los mit dem?“, schnaub­te er. „Ver­trägt der kei­nen Spaß?“

„Er hat es an den Ner­ven“, sagte ich und spur­te­te eben­falls los.

„Und ich hab`s am Her­zen!“ schrie Fitz­ke mir nach. „Ihr zwei, drei Uhr, vier­ter Stock, ver­stan­den? Plätz­chen und Saft!“

Meine Schrit­te echo­ten seine Worte auf dem Kopf­stein­pflas­ter, zwei, drei, vier … zwei, drei, vier … Ir­gend­wie pass­te es zu die­sem Tag, dass vorne die Eins fehl­te. …

Aus: An­dre­as Stein­hö­fel: Rico, Oskar und das Herz­ge­bre­che. Il­lus­tra­tio­nen von Peter Schös­sow. © Carl­sen Ver­lag GmbH, Ham­burg 2009. S. 87−89

 

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