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4.4 Au­dio­vi­su­el­le und sym­me­dia­le Zu­gän­ge zu Erich Käst­ners Kin­der­ro­man „Emil und die De­tek­ti­ve“

4.4.1 Sach­ana­ly­ti­sche, di­dak­ti­sche und me­tho­di­sche Über­le­gun­gen

Bei dem 1929 er­schie­ne­nen Kin­der­ro­man „Emil und die De­tek­ti­ve“ han­delt es sich zwei­fel­los um einen Klas­si­ker der deutsch­spra­chi­gen Kin­der- und Ju­gend­li­te­ra­tur, der bis heute nicht nur in Deutsch­land sehr be­liebt ist, son­dern noch immer welt­weit auf gro­ßes In­ter­es­se stößt, wovon u.a. die Über­set­zun­gen in 59 Spra­chen zeu­gen.
Neben der span­nen­den Hand­lung der De­tek­tiv­ge­schich­te sind der sach­lich-hei­te­re, hu­mor­vol­le Ton und die au­ßer­ge­wöhn­li­che Er­zäh­ler­instanz be­son­ders reiz­voll: Der Er­zäh­ler wird als Figur (na­mens „Käst­ner“!) in den Roman in­te­griert und wen­det sich immer wie­der di­rekt an seine Leser, wo­durch ein ab­wechs­lungs­rei­ches Spiel mit Nähe und Dis­tanz zwi­schen Leser, Fi­gu­ren und Hand­lung ent­steht. Die Fi­gu­ren der Kin­der sind teil­wei­se ty­pi­siert (der Pro­fes­sor, der An­füh­rer etc.), z.T. aber aus­rei­chend pro­fi­liert, um als Iden­ti­fi­ka­ti­ons­fi­gur zu die­nen (v.a. Emil). Bei den Er­wach­se­nen be­dient sich Käst­ner eben­falls kind­ge­rech­ter Typen (Mut­ter, Groß­mut­ter, Wacht­meis­ter, Dieb), die zwi­schen Sorge um Emil (v.a. Groß­mut­ter) und wohl­wol­len­dem An­er­ken­nen der Leis­tung der Kin­der (Wacht­meis­ter, Re­por­ter) chan­gie­ren; der Dieb als Ge­gen­spie­ler zu Emil ist der ein­zi­ge Er­wach­se­ne, der Emil mit gleich­gül­ti­gem Ego­is­mus be­geg­net, dabei aber eher ver­schla­gen als offen bös­ar­tig ge­stal­tet ist. Mit dem groß­städ­ti­schen Hand­lungs­ort Ber­lin und den für die da­ma­li­ge Zeit fort­schritt­li­chen Kom­mu­ni­ka­ti­ons- (Te­le­fon) und Ver­kehrs­mit­teln (Bahn, Stra­ßen­bahn, Taxi), die von den Kin­dern auf eine sehr selbst­ver­ständ­li­che Art ge­nutzt wer­den, ist der Roman im Dis­kurs der Mo­der­ne an­zu­sie­deln, was si­cher zu sei­ner an­hal­ten­den Be­liebt­heit we­sent­lich bei­trägt. Das Fi­gu­ren­in­ven­tar, der ex­pli­zit auf die Er­fah­rungs­welt der er­zähl­ten Ge­gen­wart be­zo­ge­ne Hand­lungs­raum (Ort und Ge­sche­hen), die sach­li­che Spra­che und die Ein­bin­dung fort­schritt­li­cher Tech­nik ver­wei­sen kon­kret auf die Neue Sach­lich­keit.
Nicht ver­schwie­gen wer­den darf indes, dass die Kin­der eine Be­fehls- und Or­ga­ni­sa­ti­ons­struk­tur eta­blie­ren, die nicht nur die Er­wach­se­nen­welt imi­tiert, son­dern auch mi­li­tä­risch An­klän­ge auf­weist. Ge­ra­de im Hin­blick auf die Ver­fil­mung von 1931 kann einen heu­ti­gen Zu­schau­er zu­wei­len ein mul­mi­ges Ge­fühl be­schlei­chen, wenn er be­denkt, dass aus dem Spiel der Kin­der we­ni­ge Jahre spä­ter blu­ti­ger Ernst wer­den wird.
Er­wäh­nens­wert ist zudem, dass die Grup­pe der De­tek­ti­ve aus­schließ­lich aus Jun­gen be­steht und das ein­zi­ge Mäd­chen, das in dem Roman in Er­schei­nung tritt, Pony Hüt­chen, zwar ge­mä­ßigt bur­schi­kos ge­zeich­net wird (und damit ja auch dem Kli­schee der mo­der­nen jun­gen Haupt­städ­te­rin ent­spricht), alles in allem aber doch ste­reo­ty­pe At­tri­bu­te des Weib­li­chen be­dient, indem sie die De­tek­ti­ve mit Nah­rungs­mit­teln ver­sorgt und an­schlie­ßend wie­der ins hei­mi­sche Um­feld ent­schwin­det. Hier bie­tet die Ver­fil­mung von 2001 die Ge­le­gen­heit, an­hand der Ge­stal­tung der Mäd­chen­fi­gu­ren im Film die Rol­lens­te­reo­ty­pe in Käst­ners Roman auf­zu­de­cken.
Für eine fünf­te oder sechs­te Gym­na­si­al­klas­se ist der Kin­der­ro­man gut ge­eig­net, weil die Hand­lung ei­ner­seits gut über­schau­bar ist, die SuS an­de­rer­seits immer wie­der mit der Frage kon­fron­tiert wer­den, wie sie in Emils Si­tua­ti­on han­deln und be­stimm­te Pro­ble­me lösen wür­den, vor die sie grund­sätz­lich in ihrem Leben eben­falls ge­stellt wer­den könn­ten, z.B. wenn sie wie Emil be­stoh­len wür­den und in einer ihnen un­be­kann­ten Groß­stadt auf sich al­lein ge­stellt wären. Zu­gleich lässt sich der Kin­der­ro­man dem Genre des Kri­mi­nal­ro­mans zu­ord­nen, was zahl­rei­che in­ter­tex­tu­el­le Be­zü­ge zu an­de­ren Ro­ma­nen er­mög­licht, z.B. zu An­dre­as Stein­hö­fels „Rico, Oskar und die Tie­fer­schat­ten“. Auch das im Roman ge­zeich­ne­te Fa­mi­li­en­bild aus al­lein­er­zie­hen­der Mut­ter und Sohn kann als Grund­la­ge die­nen, Ver­glei­che zu an­de­ren Kin­der­ro­ma­nen (vgl. „Rico“) und zu den Ver­fil­mun­gen her­zu­stel­len und über heu­ti­ge Fa­mi­li­en­kon­stel­la­tio­nen zu spre­chen; in­ter­es­sant könn­te hier auch ein Ver­gleich mit der Ver­fil­mung von 2001 sein, in der Emil bei sei­nem al­lein­er­zie­hen­den Vater wohnt.
Neben der Hand­lung und dem Span­nungs­auf­bau kann die er­zäh­le­ri­sche Ge­stal­tung (s.o.) eben­so in den Blick ge­nom­men wer­den wie die Spra­che, deren z.T. hin­ter­sin­ni­ge For­mu­lie­run­gen (z.B. „Die Mut­ter Pfiff sich eins, ver­mut­lich um ihre Sor­gen zu är­gern“, S. 32) teil­wei­se eben­so de­chif­friert wer­den müs­sen wie die ge­mä­ßig­te Groß­stadt- und Ju­gend­spra­che der Zwan­zi­ger­jah­re, wo­durch die größ­ten­teils gut ver­ständ­li­che Spra­che zahl­rei­che Mög­lich­kei­ten für eine er­gie­bi­ge Be­schäf­ti­gung mit dem Thema „Iden­ti­tät und Spra­che“ (vgl. BP 2016, 3.​1.​2.​2) bie­tet.
Die drei deutsch­spra­chi­gen Ver­fil­mun­gen von 1931, 1954 und 2001 kön­nen nicht nur mit dem Roman und un­ter­ein­an­der ver­gli­chen wer­den, son­dern bie­ten auch viel­fäl­ti­ge Mög­lich­kei­ten, fil­mi­sche Ge­stal­tungs­mit­tel und fil­mi­sches Er­zäh­len ver­glei­chend zu un­ter­su­chen (Ana­ly­seas­pekt). Der han­deln­de Ein­griff in den Roman (und in die Filme) durch die SuS ist hier nicht nur mög­lich, son­dern wird durch den Er­zäh­ler im ers­ten Ka­pi­tel „Die Ge­schich­te fängt noch gar nicht an“ ex­pli­zit an­ge­regt: „Ich möch­te euch nun, ehe ich die Ge­schich­te im Zu­sam­men­hang be­rich­te, das klei­ne Bom­bar­de­ment vor­füh­ren, das mir die ein­zel­nen Glie­der des Gan­zen, die Ein­fäl­le und die Be­stand­tei­le, zu­warf. Viel­leicht seid ihr ge­schickt genug und könnt euch aus den ver­schie­de­nen Ele­men­ten die Ge­schich­te zu­sam­men­stel­len, ehe ich sie er­zäh­le?“ (S. 17)
Pro­duk­ti­ons­ori­en­tier­te Me­tho­den kön­nen über einen sym­me­dia­len Zu­gang be­son­ders sinn­voll in den Un­ter­richt in­te­griert wer­den, sind aber auch ana­log nutz­bar (Pro­duk­ti­ons­as­pekt). Der Ein­satz von Com­pu­tern ist immer zeit­auf­wen­dig und des­halb in jedem Ein­zel­fall di­dak­tisch und me­tho­disch zu be­grün­den. Bei den im Fol­gen­den auf­ge­führ­ten Bei­spie­len kann er in ein­zel­nen Pha­sen des Un­ter­richts v.a. zur In­di­vi­dua­li­sie­rung und zur prag­ma­ti­schen Com­pu­ter­schu­lung bei­tra­gen, zu­wei­len er­gibt sich auch ein di­dak­ti­scher Mehr­wert für den Li­te­ra­tur­un­ter­richt, oft kann ein mo­ti­va­tio­na­ler Mehr­wert un­ter­stellt wer­den.

Zum Schluss sei noch aus­drück­lich dar­auf hin­ge­wie­sen, dass es sich bei den fol­gen­den Aus­füh­run­gen um ein­zel­ne, mehr oder min­der iso­lier­te (!) Vor­schlä­ge zur In­te­gra­ti­on von au­dio­vi­su­el­len Me­di­en und Sym­me­di­en in den Li­te­ra­tur­un­ter­richt han­delt, nicht aber um eine in sich ge­schlos­se­ne, kom­plet­te Un­ter­richts­ein­heit!

Im Rah­men eines in­te­gra­ti­ven Deutsch­un­ter­richts sind alle Vor­schlä­ge sinn­voll in über­grei­fen­de fach­sys­te­ma­ti­sche oder the­ma­ti­sche Zu­sam­men­hän­ge ein­zu­bin­den (vgl. Ka­pi­tel 4.​4.​2.​5 ).

 

Wei­ter zu Ver­fil­mung "Emil und die De­tek­ti­ve" - Vor­schlag 1: An­nä­he­rung an die Figur Emil