Satz des Thales – Beweis seines Kehrsatzes
Stunde 3
Der Satz des Thales wird nach den gängigen Lehrwerken auf Basis des
Bildungsplans in Klasse 7 eingeführt und dabei von den Schülerinnen und
Schülern auch argumentativ begründet. Seine Anwendung bei Konstruktion von
Tangenten oder der Berechnung von Winkelweiten sollte den Schülerinnen und
Schülern ebenfalls vertraut sein.1
Bei der Planung der 3. Stunde steht die Entscheidung an, was man seiner
Klasse beim Beweis des Kehrsatzes nun konkret zumuten kann und möchte. Zur
Orientierung folgen verschiedene Varianten, wobei im Unterricht die
Kombination von 2 bis max. 3 der nachfolgenden Beweise empfohlen wird, ggf.
auch als Zusatzaufträge zur Differenzierung. Bemerkungen zur Auswahl folgen
dann im Anschluss an die Darstellung der Beweise.
Mögliche Formulierungen des Kehrsatzes
„Wenn ein Dreieck ABC bei C einen rechten Winkel hat, dann liegt C auf dem Kreis mit Durchmesser AB.“
„Wenn ein Dreieck rechtwinklig ist, dann liegt der Mittelpunkt seines Umkreises auf der Hypotenuse.“
„Wenn ein Dreieck ABC im Punkt R einen rechten Winkel besitzt, dann liegt der Punkt C auf dem Thaleskreis über AB.“
1) Beweis mit Punktspiegelung - Punktsymmetrie des Rechtecks
Vor.: Dreieck ABC ist rechtwinklig mit rechtem Winkel bei Punkt C.
Beh.: Punkt C liegt auf dem Kreis mit Durchmesser AB.
Der Mittelpunkt M halbiert die Strecke AB.
Die Punktspiegelung an M bildet das Dreieck ABC auf das kongruente Dreieck
A´B´C´ ab.
Da M Mittelpunkt von AB ist, gilt A´= B und B = A´.
Bei einer Punktspiegelung verlaufen Gerade und Bildgerade parallel: BC ||
AC´ und AC || BC´.
Sich gegenüberliegende Seiten des Vierecks AC´BC sind also parallel. Wegen
des rechten Winkels bei C , ist das Parallelogramm AC´BC außerdem ein
Rechteck.
In einem Rechteck halbieren sich die Diagonalen, es folgt MC=MA=AB.
C liegt daher auf dem Kreis um M mit Radius r=MC=MA=AB.
Gelegentlich begegnet man auch der verkürzten Argumentation: „Durch
Spiegelung von C an M wird das Dreieck ABC zu einem (punktsymmetrischen)
Rechteck ergänzt.“
Das wird allen SuS unmittelbar einsichtig erscheinen, ist aber in der
Argumentation lückenhaft, da der Nachweis fehlt, dass es sich tatsächlich
um ein Rechteck handelt. Um den Unterschied im Unterricht zu vermitteln,
sollte die Datei 00_geo_thales_umkehrung_B1.ggb genutzt werden. Die
Argumentation kann damit schrittweise visualisiert werden, insbesondere
wird die Punktspiegelung dynamisch als Drehung dargestellt, so dass die
entscheidende Parallelentreue auch einsichtig wird (diese ist den SuS
i.d.R. ja nicht bekannt).
2) Beweis mit Umkreismittelpunkt – Zentrische Streckung
Vor.: Dreieck ABC ist rechtwinklig mit rechtem Winkel bei C.
Beh.: C liegt auf einem Kreis mit Durchmesser AB.
Man betrachtet die Mittelsenkrechte mBC durch den Mittelpunkt M
der Seite BC. Sie schneide die Seite AB im Punkt S. Da ∠BMS=90° und ∠ CA=90° gilt, sind MS
und CA parallel und man kann den ersten Strahlensatz anwenden: BS:BA=BM:BC=1:2, S halbiert
also die Seite AB.
Da S als Mittelpunkt der Seite AB auch auf deren Mittelsenkrechte mAB liegt, ist S der Schnittpunkt der Mittelsenkrechten mAB und mBC. Nach dem Satz vom Umkreis schneiden sich
die Mittelsenkrechten im Mittelpunkt U des Umkreises, es gilt daher S=U. C
liegt als Eckpunkt auf diesem Umkreis.
3) Beweis mit Umkreismittelpunkt – Winkelsumme in gleichschenkligen Dreiecken
Vor.: (1) ABC sei ein Dreieck mit den Innenwinkeln α, β und γ, wobei γ=90° ist.
(2) M sei der Mittelpunkt der Strecke AB, dem Durchmesser des Thaleskreises.
Beh.: C liegt auf einem Kreis um M.
Man zeichnet die Mittelsenkrechten mBC und mAC von BC und AC ein, ihr Schnittpunkt ist der Umkreismittelpunkt U, der auf mAB liegt und daher gleich weit von A und B entfernt ist. Man zeigt, dass bei U ein gestreckter Winkel vorliegt (∠AUB=180°), dass U=M gilt (bzw. dass U auf AB liegt).
Die Hilfsstrecke UC teilt den Winkel bei C in die Teilwinkel α und β. Man
weiß, dass α+β=90° gilt, da bei C ein rechter Winkel gegeben ist. Wegen der
Symmetrieeigenschaften der Mittelsenkrechten sind die Dreiecke AUC und UBC
gleichschenklig und es ergeben sich aufgrund der Winkelsummen die
eingetragenen Winkelbeziehungen. Insbesondere gilt ∠BUC=2α und ∠CUA=2β . Damit folgt: ∠AUB=∠BUC+∠CUA=2α+2β=2(α+β)=2*90°=180°, U liegt auf der Strecke AB und es gilt U=M.
Damit folgt MA=MC=MB=r, der Punkt C liegt auf dem Kreis um M mit Radius r.
Der letzte Schritt beruht auf dem „Satz vom Umkreis“. Falls man diesen nicht verwenden und von Anfang an nur die beiden Mittelsenkrechten betrachten möchte, kann hier mit der Symmetrie der Dreiecke argumentiert werden, z.B.: „In den gleichschenkligen Dreiecken gilt UA=UC (in Dreieck USC) und UC=UB (in Dreieck UBC), woraus u.a. UA=UB folgt, d.h. U halbiert die Strecke AB und es gilt U=M.“
4) Beweis durch Widerspruch
Vor.: Das Dreieck ABC besitzt im Punkt C einen rechten Winkel.
Beh.: C liegt auf dem Thaleskreis mit Durchmesser AB.
Annahme: Die Behauptung sei falsch. C liege also nicht auf dem
Thaleskreis über AB.
Man nimmt nun an, dass C entweder innerhalb oder außerhalb des Kreises
liegt und führt jeweils einen Widerspruch herbei.
Voraussetzungen:
(1) ABC sei ein Dreieck mit den Innenwinkeln α, β und γ, wobei γ=90° ist.
(2) M sei der Mittelpunkt der Strecke AB, dem Durchmesser des Thaleskreises.
Annahme 1:
C liegt innerhalb des Thaleskreises.
Dann schneidet die Verlängerung der Strecke BC den Thaleskreis im Punkt D
mit δ=∠ADB. Nach dem Satz des Thales folgt, dass δ=90°.
Außerdem gilt γ+ε=180°
(gestreckter Winkel bei C).
Da nach Voraussetzung γ =90° gilt, folgt damit auch ε=90°.
Das Dreieck ACD besitzt somit zwei rechte Winkel und seine Innenwinkelsumme
beträgt mehr als 180°. Das ergibt einen Widerspruch zum
Innenwinkelsummensatz für Dreiecke.
Die Annahme muss also falsch gewesen sein,
C kann daher nicht innerhalb des Thaleskreises liegen.
Annahme 2:
C liegt außerhalb des Thaleskreises.
Dann schneidet die Strecke BC den Thaleskreis im Punkt D mit . Nach dem
Satz des Thales folgt, dass δ=90° . Außerdem gilt δ+ε=180°, also ist auch
ε=90°. Da nach Voraussetzung γ=90° ist, besitzt das Dreieck ADC zwei rechte
Winkel und die Summe seiner Innenwinkel beträgt somit mehr als 180°. Daraus
ergibt sich ein Widerspruch zum Winkelsummensatz für Dreiecke. Die zweite
Annahme muss also ebenfalls falsch gewesen sein, C kann nicht außerhalb des Thaleskreises liegen.
Damit ist bewiesen, dass der Punkt C unter den gegebenen Voraussetzungen
weder innerhalb noch außerhalb des Thaleskreises liegen
kann.
C muss daher auf dem Thaleskreis liegen.
5) Beweis durch Kontraposition
Für einen Satz A ⇒ B und seine Kontraposition ¬B ⇒ ¬A gilt (A ⇒ B) ⇔ (¬B ⇒ ¬A).
Statt einen Satz zu beweisen, kann man also auch dessen Kontraposition beweisen, was möglicherweise einfacher ist.
Bezogen auf den Kehrsatz des Satzes des Thales lauten die beiden Aussagen:
Aussage A: Dreieck ABC hat bei C einen rechen Winkel.
Aussage B: C liegt auf dem Kreis mit Durchmesser AB.
Satz |
A ⇒ B |
Wenn das Dreieck ABC bei C einen rechen Winkel besitzt, dann liegt C auf dem Kreis mit Durchmesser AB. |
Kontraposition |
¬B ⇒ ¬A |
Wenn C nicht auf dem Kreis mit Durchmesser AB liegt, dann gilt für den Winkel γ beim Punkt C nicht γ=90°. |
Da die Kontraposition den Schülerinnen und Schülern in der Regel unbekannt sein dürfte, sollte sie zunächst sprachlich betont werden wie in obigem Beispiel.
Kehrsatz des Satzes des Thales
Vor.: Dreieck ABC hat bei C einen rechen Winkel.
Beh.: C liegt auf dem Kreis mit Durchmesser AB.
Beweis durch Kontraposition:
Vor.: C liegt nicht auf dem Kreis mit Durchmesser AB.
Beh.: Das Dreieck ABC hat bei C einen Winkel γ mit γ ≠ 90°.
1. Fall:
C liegt außerhalb des Kreises.
Dann schneidet die Strecke BC den Thaleskreis im Punkt D mit δ=∠ADB. Nach dem
Satz des Thales folgt, dass δ=90°. Außerdem gilt δ+ε=180°, also ist auch
ε=90°.
Im Dreieck ADC gilt daher wegen der Winkelsumme
γ = 180°− (90°+φ) = 90° − φ < 90°
Für den 1. Fall gilt im Dreieck ABC γ < 90°, also γ ≠ 90°.
2. Fall:
C liegt innerhalb des Kreises.
C liegt innerhalb des Thaleskreises.
Dann schneidet die Verlängerung der Strecke BC den Thaleskreis im Punkt D
mit δ=∠ADB.
Nach dem Satz des Thales folgt, dass δ=90°.
Dann ist der Winkel ε im Dreieck ACD spitz, denn wegen der Winkelsumme gilt
ε = 90°− φ < 90°.
Daraus folgt, dass γ stumpf ist, denn γ ist Nebenwinkel von ε und es gilt γ
= 180°− ε > 90° (da ε < 90°).
Für den 2. Fall gilt im Dreieck ABC γ > 90°, also γ ≠ 90°.
Insgesamt ist damit bewiesen: „Wenn C nicht auf dem Thaleskreis über AB liegt, dann hat das Dreieck ABC bei C keinen rechten Winkel.“
Daraus folgt durch Kontraposition: „Wenn das Dreieck ABC bei C einen rechten Winkel besitzt, dann liegt C auf dem Thaleskreis über AB.“
Bemerkungen zur Auswahl für den Unterricht
Es wurden 5 Varianten vorgestellt, die verschiedene Aspekte abdecken, andere sind möglich. Die Beweise 1 bis 3 werden direkt geführt und setzen jeweils andere inhaltliche Schwerpunkte. Sie können in Abhängigkeit des vorausgegangenen Unterrichts auch leicht variiert werden.
Der abbildungsgeometrische Beweis 1 nutzt die Eigenschaften der Punktspiegelung und die Punktsymmetrie des Rechtecks. Er kann bei Einsatz des GeoGebra-Applets gut als Einstieg genutzt werden, um die Problematik herauszuarbeiten und zu erkennen, dass der Beweis des Kehrsatzes eine sorgfältige Argumentation erfordert und schwieriger sein kann als der Beweis des vorausgehenden Satzes.
Die Beweise 2 und 3 gehen auf einem Spezialfall des Satzes vom Umkreis zurück: In einem rechtwinkligen Dreieck liegt der Umkreismittelpunkt auf der Hypotenuse. Dieser Zusammenhang muss allerdings begründet werden.
In Beweis 2 werden mithilfe des ersten Strahlensatzes Seitenverhältnisse
übertragen. Alternativ könnte man hier auch eine geeignete zentrische
Streckung betrachten. Beweis 2 kann somit nur eingesetzt werden, wenn die
Ähnlichkeit und Strahlensätze bereits behandelt wurden, wovon in der Regel
aber auszugehen ist.
In Beweis 3 erfolgen dazu Winkelbetrachtungen unter Ausnützung von
Symmetrien zur Mittelsenkrechten, das sollte problemlos möglich sein.
Die Beweise 4 und 5 sind aus didaktischer Sicht interessant. Sie bieten den Vorteil, dass die Lage von Punkt C dynamisch gesehen und damit die Sicht aufs Ganze erweitert wird. Es werden hier auch die Fälle explizit betrachtet, bei denen C innerhalb oder außerhalb des Kreises liegt. Dadurch werden Vorstellungen angelegt, die z.B. für die spätere Verallgemeinerung des Satzes des Pythagoras zum Kosinussatz wichtig sind.
Beweis 4 bietet darüber hinaus die Gelegenheit, einen weiteren Widerspruchsbeweis zu behandeln, nachdem dieses Beweisprinzip in Klasse 8 wahrscheinlich gerade erst beim Beweis der Irrationalität eingeführt wurde.
Wenn die Umkehrung des Satzes des Thales in Schulbüchern behandelt wird,
dann wird sie seltsamerweise meist durch Kontraposition bewiesen.2 Dieses
Beweisprinzip ist den Schülerinnen und Schülern wegen den fehlenden
aussagenlogischen Grundlagen aber fremd.
Beweis 5 sollte deshalb nur dann als Vertiefung gewählt werden, wenn
man in dem anschaulichen und bekannten Kontext des Satzes des Thales
tatsächlich das Prinzip des „Beweisens durch Kontraposition“ einführen
möchte. Es verlangt SuS einiges ab, könnte aber in starken Lerngruppen
durchaus schon ein Einstieg in die Formalisierung der Aussagenlogik sein,
die dann ab Klasse 9 auf dem Plan stehen wird.
1 Für den „Satz des Thales“ findet man z.B. im älteren Lehrwerk „Mathematik Neue Wege 4 – Arbeitsbuch für Gymnasien“, Schroedel-Verlag, Braunschweig, 2006 auf S. 76 den Exkurs „Zum Beweisen in der Geometrie“, bei dem die Beweisschritte in einem „Zweispaltenbeweis“ sehr übersichtlich dokumentiert sind. Diese Darstellung könnte auch für die Erarbeitung des Kehrsatzes einen Ausgangspunkt liefern.
2 Vgl. „Elemente der Mathematik, Baden-Württemberg 7“, Schroedel-Verlag, Braunschweig, 2017, S. 123 und „mathe.delta 7 – Baden-Württemberg“, CCBuchner-Verlag, Bamberg, 2017, S. 155
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