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Max Frisch: Homo faber

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Diese Seite ist Teil einer Ma­te­ria­li­en­samm­lung zum Bil­dungs­plan 2004: Grund­la­gen der Kom­pe­tenz­ori­en­tie­rung. Bitte be­ach­ten Sie, dass der Bil­dungs­plan fort­ge­schrie­ben wurde.

Max Frisch: Homo faber

Text 1 , S. 11 *Hous­ton

   Mein Ge­sicht im Spie­gel, wäh­rend ich Mi­nu­ten lang die Hände wa­sche, dann trock­ne: weiß wie Wachs, mein Ge­sicht, be­zie­hungs­wei­se grau und gelb­lich mit vio­let­ten Adern darin, scheuß­lich wie eine Lei­che. Ich ver­mu­te­te, es kommt vom Neon-Licht, und trock­ne­te meine Hände, die eben­so gelb­lich-vio­lett sind, dann der üb­li­che Laut­spre­cher, der alle Räume be­dient, somit auch das Un­ter­ge­schoß: Your at­ten­ti­on plea­se, your at­ten­ti­on plea­se! Ich wußte nicht, was los ist. Meine Hände schwitz­ten, ob­schon es in die­ser Toi­let­te ge­ra­de­zu kalt ist, drau­ßen ist es heiß. Ich weiß nur so­viel: - Als ich wie­der zu mir kam, knie­te die dicke Ne­ge­rin neben mir, Put­ze­rin, die ich vor­her nicht be­merkt hatte, jetzt in nächs­ter Nähe, ich sah ihr Rie­sen­maul mit den schwar­zen Lip­pen, das Rosa ihres Zahn­flei­sches, ich hörte den hal­len­den Laut­spre­cher, wäh­rend ich noch auf allen vie­ren war –

[…]

   Ich schwor mir, nie wie­der zu rau­chen, und ver­such­te, mein Ge­sicht unter die Röhre zu hal­ten, was nicht zu ma­chen war wegen der Schüs­sel, es war ein Schweiß­an­fall, nichts wei­ter, Schweiß­an­fall mit Schwin­del.

Text 2 , S. 98f *Paris

Ich war der ein­zi­ge Gast, weil noch früh am Abend, und was mich ir­ri­tier­te, war le­dig­lich der Spie­gel ge­gen­über, Spie­gel im Gold­rah­men. Ich sah mich, sooft ich auf­blick­te, so­zu­sa­gen als Ah­nen­bild: Wal­ter Faber, wie er Salat ißt, in Gold­rah­men. Ich hatte Ringe unter den Augen, nichts wei­ter, im üb­ri­gen war ich son­nen­ge­bräunt, wie ge­sagt, lange nicht so hager wie üb­lich, im Ge­gen­teil, ich sah aus­ge­zeich­net aus. Ich bin nun ein­mal (das wußte ich auch ohne Spie­gel) ein Mann in den bes­ten Jah­ren, grau, aber sport­lich. Ich halte nichts von schö­nen Män­nern. Daß meine Nase etwas lang ist, hat mich in der Pu­ber­tät be­schäf­tigt, seit­her nicht mehr; seit­her hat es genug Frau­en ge­ge­ben, die mich von fal­schen Min­der­wer­tig­keits­ge­füh­len be­freit haben, und was mich ir­ri­tier­te, war ein­zig und al­lein die­ses Lokal: wo man hin­blick­te, gab es Spie­gel, ekel­haft, dazu die end­lo­se War­te­rei auf mei­nen Fisch. Ich re­kla­mier­te ent­schie­den, zwar hatte ich Zeit, aber das Ge­fühl, daß die Kell­ner mich nicht ernst neh­men, ich weiß nicht warum, ein lee­res Eta­blis­se­ment mit fünf Kell­nern, die mit­ein­an­der flüs­tern, und ein ein­zi­ger Gast: Wal­ter Faber, der Brot ver­krü­melt, in Gold­rah­men, wohin ich auch blick­te; mein Fisch, als er end­lich kam, war aus­ge­zeich­net, aber schmeck­te mir über­haupt nicht, ich weiß nicht, was mit mir los war.

   »You are loo­king like -«

Nur wegen die­ser blö­den Be­mer­kung von Wil­li­ams (dabei mag er mich, das weiß ich!) blick­te ich immer wie­der, statt mei­nen Fisch zu essen, in diese lä­cher­li­chen Spie­gel, die mich ins­ge­samt in acht­fa­cher Aus­fer­ti­gung zeig­ten:

   Na­tür­lich wird man älter -

   Na­tür­lich be­kommt man bald eine Glat­ze -

   Ich bin nicht ge­wohnt, zu Ärz­ten zu gehen, nie in mei­nem Leben krank ge­we­sen, ab­ge­se­hen vom Blind­darm - ich blick­te in die Spie­gel, bloß weil Wil­li­ams ge­sagt hatte: What about some ho­li­days, Wal­ter? Dabei war ich son­nen­ge­bräunt wie noch sel­ten. In den Augen eines jun­gen Mäd­chens, das Ste­war­deß wer­den möch­te, war ich ein ge­setz­ter Herr, mag sein, je­doch nicht le­bens­mü­de, im Ge­gen­teil, ich ver­gaß sogar, in Paris zu einem Arzt

zu gehen, wie ich es mir ei­gent­lich vor­ge­nom­men hatte -

Ich fühl­te mich voll­kom­men nor­mal.

Text 3 , S. 170f *Athen, Kran­ken­haus

Die Dia­ko­nis­sin hat mir end­lich einen Spie­gel ge­bracht - ich bin er­schro­cken. Ich bin immer hager ge­we­sen, aber nicht so wie jetzt; nicht wie der alte Indio in Pa­len­que, der uns die feuch­te Grab­kam­mer zeig­te. Ich bin wirk­lich etwas er­schro­cken. Außer beim Ra­sie­ren pfle­ge ich nicht in den Spie­gel zu schau­en; ich kämme mich ohne Spie­gel, trotz­dem weiß man, wie man aus­sieht, be­zie­hungs­wei­se aus­ge­se­hen hat. Meine Nase ist von jeher zu lang ge­we­sen, doch meine Ohren sind mir nicht auf­ge­fal­len. Ich trage al­ler­dings ein Py­ja­ma ohne Kra­gen, daher mein zu lan­ger Hals, die Seh­nen am Hals, wenn ich den Kopf drehe, und Gru­ben zwi­schen den Seh­nen, Höh­len, die mir nie auf­ge­fal­len sind. Meine Ohren: wie bei ge­scho­re­nen Häft­lin­gen! Ich kann mir im Ernst nicht vor­stel­len, daß mein Schä­del klei­ner ge­wor­den ist. Ich frage mich, ob meine Nase sym­pa­thi­scher ist, und komme zum Schluß, daß Nasen nie sym­pa­thisch sind, eher ab­surd, ge­ra­de­zu ob­szön. Si­cher habe ich da­mals in Paris (vor zwei Mo­na­ten!) nicht so aus­ge­se­hen, sonst wäre Sa­beth nie mit mir in die Opéra ge­kom­men. Dabei ist meine Haut noch ziem­lich ge­bräunt, nur der Hals etwas weiß­lich. Mit Poren wie bei einem ge­rupf­ten Hüh­ner­hals! Mein Mund ist mir noch sym­pa­thisch, ich weiß nicht warum, mein Mund und meine Augen, die üb­ri­gens nicht braun sind, wie ich immer ge­meint habe, weil es im Paß so heißt, son­dern grau­grün­lich; alles an­de­re könn­te auch einem an­dern ge­hö­ren, der sich über­ar­bei­tet hat. Meine Zähne habe ich schon immer ver­flucht. So­bald ich wie­der auf den Bei­nen bin, muß ich zum Zahn­arzt. Wegen Zahn­stein, viel­leicht auch wegen Gra­nu­lom; ich spüre kei­ner­lei Schmerz, nur Puls im Kie­fer. Meine Haare habe ich stets sehr kurz ge­tra­gen, weil es prak­ti­scher ist, und auf den Sei­ten ist mein Haar­wuchs kei­nes­wegs dün­ner ge­wor­den, auch hin­ten nicht. Grau bin ich ei­gent­lich schon lange, sil­ber­blond, was mich nicht küm­mert. Wenn ich auf dem Rü­cken liege und den Spie­gel über mich halte, sehe ich immer noch aus, wie ich aus­ge­se­hen habe; nur etwas ma­ge­rer, was von der Diät kommt, be­greif­li­cher­wei­se. Viel­leicht ist es auch das weiß­li­che Ja­lou­sie- Licht in die­sem Zim­mer, was einen bleich macht so­zu­sa­gen hin­ter der ge­bräun­ten Haut; nicht weiß, aber gelb. Schlimm nur die Zähne. Ich habe sie immer ge­fürch­tet; was man auch da­ge­gen tut: ihre Ver­wit­te­rung. Über­haupt der ganze Mensch! - als Kon­struk­ti­on mög­lich, aber das Ma­te­ri­al ist ver­fehlt: Fleisch ist kein Ma­te­ri­al, son­dern ein Fluch.

Auf­ga­ben:

  1. Mar­kie­ren Sie (am Com­pu­ter) in den Tex­ten 1-3 mit Farbe sol­che Stel­len, in denen Wal­ter Faber sich auf die glei­che Weise wahr­nimmt. Mar­kie­ren Sie mit einer an­de­ren Farbe Text­stel­len, in den sich Faber auf eine ver­än­der­te Weise wahr­nimmt.

  2. In­ter­pre­tie­ren Sie die drei Spie­gel­sze­nen in Homo faber .

    • Zei­gen Sie dabei, wie Faber mit Krank­heit und Tod um­geht.
    • Prü­fen Sie, ob sich die Figur ent­wi­ckelt.
  3. Werk­ver­gleich:

    • Legen Sie ein Ver­gleichs­ras­ter zum Werk­ver­gleich ( Tod in Ve­ne­dig und Homo faber ) an. 1
    • Tra­gen Sie Ihre Be­ob­ach­tun­gen zu den fünf Spie­gel­sze­nen in die­ses Ras­ter ein.

1 Die Schü­le­rin­nen und Schü­ler kön­nen sich hier ori­en­tie­ren an einem Mo­dell wie im Ma­te­ri­al
  Kom­pe­tenz­ras­ter

  Rede zur Bild­nis­pro­ble­ma­tik

 

In­ter­textua­li­tät / Werk­ver­gleich: Her­un­ter­la­den [doc] [60 KB]