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Hinweise

Infobox

Diese Seite ist Teil einer Materialiensammlung zum Bildungsplan 2004: Grundlagen der Kompetenzorientierung. Bitte beachten Sie, dass der Bildungsplan fortgeschrieben wurde.


Didaktische Hinweise zu Mat. 5.6:

  • Dieses Arbeitsblatt wird eher zur Vertiefung als der Erarbeitung der Intertextualität in „Agnes“ nützlich sein. Es kann entweder nach den anderen Materialien in diesem Baustein (oder nach den Materialien zur Postmoderne) eingesetzt oder zur Vertiefung im differenzierenden Unterricht bereitgestellt werden.
  • Peter Stamms Roman lässt sich fast durchweg genau verorten: Fast alle Schauplätze in Chicago existieren tatsächlich und lassen sich auch im Internet auffinden (z.B. per Google Maps, Mapquest) und anschauen (per Bildersuche und vor allem per Google Streetview). So ließe sich ein Stadtplan ‚Peter Stamms Chicago’ erstellen. Übrigens sind fast alle wesentlichen Schauplätze nur wenige hundert Meter voneinander entfernt. Diese Eigenschaft des Romans zu nutzen, bedeutet, ihn als Gegenwartsroman bewusst und erfahrbar zu machen und auch für die Motivation zu nutzen. Dabei darf aber nicht vergessen werden, dass Stamm Geschehen und Schauplätze fiktionalisiert.
  • Möglich ist es, die Lernenden selbst wesentliche Schauplätze sammeln und finden zu lassen, z.B. im Rahmen eines Lese-Auftrags vor der ersten Lektüre.
  • Das Foto, das die Bibliothek eingekeilt zeigt zwischen anderen Gebäuden und den Hochbahngleisen, kann zum Einstieg eingesetzt werden. Dann bietet es sich an, am Ende wieder darauf zurückzukommen und die neu gewonnenen Erkenntnisse auf diese Weise zu reflektieren.
  • Lösung zur Zuordnungs-Aufgabe [1] (alle Fotos, soweit nicht anders nachgewiesen: Fotos 2, 4 und 5: Chicago Public Library
    • Foto 1: Chicago Board of Trade Building
    • Foto 3: Monadnock Building
    • Foto 6: The Rookery

Inhaltliche Hinweise zu Mat. 5.6:
Mehrere Gebäude in Chicago sind im Roman genannt. Keines von ihnen wird sehr detailliert beschrieben, doch sind zwei von ihnen (Chicago Public Library und Doral Plaza) sind wichtige Schauplätze und alle sind von architektonischem Rang, wenn nicht sogar berühmt (v.a. der Sears Tower / Willis Tower). Als Schauplatz seiner Liebesgeschichte erscheinen die Gebäude – und überhaupt die für ihre Wolkenkratzer berühmte Innenstadt Chicagos – ganz bewusst gewählt.

Chicagos Bedeutung für die moderne Architektur geht darauf zurück, dass die gesamte Innenstadt Chicagos 1871 abgebrannt war. Beim Wiederaufbau entstanden zahlreiche wegweisende Gebäude, an die spätere Architekten wiederum mit ihren Bauwerken anknüpfen.

Wie in keiner anderen Stadt der Welt lässt sich daher in Chicago sehen, wie sich technische Entwicklungen und ästhetische Vorlieben in der Architektur niederschlugen. Hochhäuser wurden im 19. Jahrhundert meist über die Außenmauern abgestützt. Diese mussten, um die Last der Stockwerke halten zu können, sehr dick gebaut sein. Häufig sind die Wände der unteren Stockwerke noch dicker als die der übrigen, da sie ja die größte Last tragen. Es waren nur kleine Fenster möglich, die Zahl der Stockwerke war noch begrenzt.

Ende des 19. Jahrhunderts schufen Ingenieure mit dem Stahlbau die Zukunft des Wolkenkratzers: Die Gebäude erhalten ihre Stabilität nun nicht mehr von außen, sondern von innen durch ein Stahlskelett. Damit sind theoretisch Bauwerke in beliebiger Höhe möglich. Die Außenmauern haben keine stützende Funktion mehr und dienen vornehmlich als Fassade. So kommt es, dass die meisten der Wolkenkratzer des 19. Jahrhunderts Glasfassaden haben.

Unter den zahlreichen architektonischen Meisterwerken Chicagos befinden sich auch einige aus der Postmoderne. Folgende Merkmale sind für postmoderne Architektur typisch:

  • Die Gebäude beziehen sich auf ihre Umgebung : auf die natürliche, aber auch auf ihre architektonische. Symbole verweisen häufig auf ihren Standort bzw. auf die Stadt, in der sie errichtet sind.
  • Ein und dasselbe Gebäude weist Merkmale mehrerer vorhergehender Epochen auf. So entsteht ein heterogener Stilmix.
  • Die beiden erstgenannten Merkmale kommen zusammen, wenn ein postmodernes Gebäude einzelne Elemente anderer bekannter Gebäude aus der Umgebung zitiert .
  • Aus Protest gegen die Moderne, die durch rechte Winkel und gerade Kanten gekennzeichnet ist, verwenden postmoderne Architekten gerne Bögen, Zacken usw., damit ihre Gebäude nicht wie Schachteln aussehen.

Die c (auch: ‚Harold Washington Library’), in der sich Agnes und der Ich-Erzähler kennenlernen (vgl. S. 9), gilt als ein Hauptwerk der Postmoderne. Ganz bewusst haben ihre Architekten – die Firma Hammond, Beeby & Babka – im Jahr 1987 ein Gebäude entworfen, das in einigen Aspekten nicht dem heutigen Stand der Technik zu entsprechen scheint. Daher sieht das Gebäude viel älter aus, als es tatsächlich ist. Aufschlussreich sind auch die zahlreichen Zitate, mit denen die Bibliothek sich auf ihre Umgebung, also auf Chicago und insbesondere auf die Nachbarschaft im ‚Loop’, der berühmten Innenstadt Chicagos, bezieht.

Chicago Public Library


Woran ist die Bibliothek als postmodernes Gebäude erkennbar?

  • Das Gebäude ist durch ein Stahlskelett getragen. Die dicken Wände sind ohne statische Funktion und dienen als Zitat des frühen Hochhausbaus, v.a. des benachbarten Monadnock Buildings .

CPL Eingang     Monadnock
CPL (1987-1991)                                                    Monadnock (1889)

  • Ein weiteres Zitat ist in den hohen Fenstern mit abschließenden Bögen zu erkennen, die auf die berühmte Rookery ganz in der Nähe verweisen.

CPL Fenster                         The Rookery
CPL (1987-1991)                                                                 The Rookery (1887)

  • Noch ein Zitat: Die Relief-Abbildungen der Göttin Ceres verweisen auf die auffällige, weithin sichtbare Ceres-Statue auf dem Dach des Chicago Board of Trade gleich nebenan. Ceres ist die Göttin des Ackerbaus und der Fruchtbarkeit. Sie steht für Chicagos Bedeutung als wichtiger Handelsplatz für die landwirtschaftlichen Güter des Mittleren Westens der USA.

CPL:  Windy City Man     Chicago Board of Trade
CPL (1987-1991)                                                    Chicago Board of Trade (1930)

  • Historisierende Bänder verweisen symbolisch auf Chicago: auf den Standort des Gebäudes, aber auch auf das Gemeinwesen, dem die Bibliothek dienen soll. Dabei gelangt neben dem Y-Symbol (steht vielerorts für die Gabelung des Chicago River mitten in der Stadt) auch der ‚Windy City Man’ zum Einsatz.

Band

  • Die Eulen-Figuren auf dem Dach stehen für die Göttin Minerva, die Göttin der Weisheit. Damit symbolisieren sie die Funktion der Bibliothek.

Eulen-Figur auf dem Dach

Figuren und Symbole beziehen sich also auf die Funktion der Bibliothek und auf ihren Standort in Chicago – auf eine Weise, wie es schon längst nicht mehr üblich ist. Auch dieses Verweis-System ist als spielerischer Umgang mit der Architektur- und Kunstgeschichte aufzufassen.

Die Chicago Public Library wurde 1991 eingeweiht und war architektonisch sehr umstritten. Ihre Erwähnung und ihre Bedeutung als wichtiger Schauplatz im wenig später erschienen Roman „Agnes“ (1998, zuvor schon als Hörspiel) fügt sich ein in ein dichtes Netz aus Anspielungen auf Werke der Literatur und der Bildenden Kunst. Da noch weitere architektonische Werke im Roman erwähnt werden (Doral Plaza (S. 25), Sears Tower (S. 32, heute ‚Willis Tower’)), trägt die Architektur als weiterer Bereich zum postmodernen Anspielungs- und Verweissystem des Romans bei.

Informationen zur Chicago Public Library:
http://www.chipublib.org/aboutcpl/history/hist1990.php

Zum architekturgeschichtlichen Rang des Gebäudes, z.T. mit Detailanalysen:
http://www.press.uchicago.edu/Misc/Chicago/740668hwlc.html
http://www.gbowman.aiwsites.com/imd110/theNewLibrary.htm
http://chicago-outdoor-sculptures.blogspot.com/2010_01_01_archive.html (von dort dem Link zu weiteren Analysen der CPL folgen)

Fotoalben zu Chicago im Zusammenhang mit „Agnes“ (Fotos Jan-Arne Sohns):
http://www.flickr.com/photos/67014752@N05/sets/72157627590243978/
http://www.flickr.com/photos/67014752@N05/sets/72157627465785179/



[1] Alle Fotos, soweit nicht anders nachgewiesen, Jan-Arne Sohns, August 2011. Diese Fotos finden sich online unter http://www.flickr.com/photos/67014752@N05/sets/72157627590243978/.

 

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