6.2 Sozialpraktikum als authentische Lernsituation, Arbeit mit Portfolio
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Diese Seite ist Teil einer Materialiensammlung zum Bildungsplan 2004: Grundlagen der Kompetenzorientierung. Bitte beachten Sie, dass der Bildungsplan fortgeschrieben wurde.
„Zielt kompetenzorientierter Unterricht auf problemlösendes Handeln und ist nach Andreas Feindt eines seiner Gütekriterien die „lebensweltliche Anwendung“, so muss Religionsunterricht immer wieder (auch) von Anforderungssituationen und Lernanlässen her geplant und durchgeführt werden.“ 1
An vielen Schulen ist ein Sozialpraktikum als authentische Lernsituation inzwischen fester Bestandteil des Schulcurriculums in Klasse 9/10, das das soziale Lernen explizit ausweist. Für die SuS stellt das Sozialpraktikum eine große Herausforderung dar, die einer intensiven Vor- und Nachbereitung bedarf. Diese Vor- und Nachbereitung sowie die Betreuung der SuS an den Praktikumsorten wird oftmals von den Lehrkräften der Fächer evangelische und katholische Religion und Ethik übernommen. Auch wenn dies nicht der Fall sein sollte, liegt eine Thematisierung im Religionsunterricht nahe. An den Schulen haben sich unterschiedliche Konzepte des Sozialpraktikums etabliert, meist findet es eine Woche in Blockform statt, doch gibt es auch Modelle, die das Praktikum in Modulen oder wöchentlichen festen Terminen über ein Schuljahr verteilen.
Das Sozialpraktikum rückt den individuellen Kompetenzerwerb der SuS in den Mittelpunkt. Für die Gestaltung des Unterrichts bedeutet dies, dass neben der direkten Instruktion in der Vor- und Nachbereitung des Praktikums vor allem die Bewältigung einer authentischen Anforderungssituation in einem Pflegeheim, bei der Bahnhofsmissin oder in einer Behindertenwerkstatt im Zentrum steht. Diese individualisierte Lernphase des selbstgesteuerten Arbeitens befördert im handelnden Umgang mit Inhalten die personale und soziale Kompetenz und zudem die Fach- und Methodenkompetenz. Die begleitende Portfolio-Arbeit wird mit dem Fokus auf prozessorientierte Projektarbeit mit starken metakognitiven Elementen eingesetzt. 2
„Von Kompetenzen kann man erst sprechen, wenn Schülerinnen und Schüler ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie ihr kognitives Wissen auch in unbekannten Situationen anwenden können (und wollen). […]
Die empirische Forschung zur Unterrichtsqualität hat verdeutlicht, dass ein Unterricht, der Schüler/innen dazu herausfordert, bereits vorhandenes Wissen und verfügbare Fähigkeiten zur Bearbeitung neuer Herausforderungen aktiv und kreativ einzusetzen, ein wichtiger Faktor für den Lernerfolg ist. Für den kompetenzorientierten Unterricht gilt dies in besonderem Maße, weil Kompetenzen explizit auf die Bearbeitung von unbekannten Anforderungssituationen bezogen sind. Wenn man also den Erwerb von Kompetenzen befördern will, dann gelingt das nicht, wenn man die Schülerinnen und Schüler hauptsächlich mit Routine- oder Standardaufgaben konfrontiert. Vielmehr müssen im Unterricht aber immer wieder Situationen geschaffen werden, in denen Entdeckungen gemacht werden können. Die Herausforderung im kompetenzorientierten Unterricht besteht darin, Aufgaben zu finden, bei denen die Schüler/-innen gefordert sind, vorhandenes Wissen und verfügbare Fähigkeiten auf neue Weise miteinander zu verbinden.“ 3
6.2.1 Lk 10 und Lk 15 als didaktischer roter Faden, Wiederholung und Sicherung
Ausgehend vom Ziel, dass die Schülerinnen und Schüler am Ende von Klasse 10 moralische Aussagen der Bibel in eine normenkritische Urteilsbildung einbeziehen können, werden auch im Sinne einer Wiederholung und Sicherung die beiden Gleichnisse Lk 10 und Lk 15 mit ihren zentralen moralischen Aussagen wieder aufgegriffen:
- Die Frage nach dem Nächsten
- Doppelgebot der Liebe
- Erleben von Barmherzigkeit und Güte
- Hilfsbereitschaft ohne Ansehen der Person
- Gott nimmt den Sünder auf und vergibt.
Lk 10 und Lk 15 werden bei der Planung, Durchführung und Reflexion in der begleitenden Portfolio-Arbeit sowohl wiederholt, als auch im neuen Kontext bedacht und durchdacht und stehen den SuS als argumentative Grundlage und „Handwerkzeug“ bei der Auseinandersetzung mit Ungerechtigkeit und Hilfsbedürftigkeit und der ethischen Reflexion moralischen Handelns zur Verfügung.
6.2.2 Ablauf in der Praxis
Vorbereitung im gebundenen Unterricht
- Stärken-Schwächen-Analyse vor dem Praktikum (z.B. Selbsteinschätzungsbogen )
- Arbeit mit dem Leitmedium: SuS erzählen Lk 10 und Lk 15 und legen Texte aus
- Einführung in die Portfolioarbeit auf der Grundlage von „Brief an SuS im Praktikum, Hinweise zum Portfolio“ (siehe 6.2.3)
- Lern- und Leistungssituation unterscheiden und transparent machen: Funktion des Portfolios, Bewertungskriterien
Praktikum als weitgehend eigenständiges prozess- und produktorientiertes Arbeiten
- Betreuung der SuS im Praktikum
- Betreuende Lehrkraft nimmt Kontakt zur Praktikumsstelle auf
Portfolioarbeit
- Vorbereitungsphase
- Arbeitsplanung
- Arbeitsphase mit Bericht, Darstellung, Analyse, Bewertung
- Eigenreflexion
- Erstellung des Portfolios
Nachbereitung im gebundenen Unterricht
- Stärken-Schwächen-Analyse nach dem Praktikum (z.B. Selbsteinschätzungsbogen)
- Arbeit mit dem Leitmedium
- Fremdreflexion (Feedback) zum individuellen Portfolio
-
Reflexion der Portfolioarbeit
6.2.3 Brief an die SuS im Sozialpraktikum, Hinweise zum Portfolio
Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen,
(Lukas 10) Liebe Schülerin, lieber Schüler!
Das anstehende Sozialpraktikum verlangt von dir ein hohes Maß an Aufmerksamkeit, Mitgefühl und Einfühlungsvermögen. Du wirst nicht nur Zeit und Energie, sondern auch Gefühl einsetzen und dich mit der Einrichtung, deiner Arbeit und vor allem mit den Menschen dort intensiv auseinandersetzen. Es kann auch schwierige oder belastende Situationen geben, eventuell auch Konflikte. Bei allen Fragen und insbesondere Schwierigkeiten, die sich ergeben sollten, nimm bitte unverzüglich Kontakt mit mir auf. Meine Mailadresse lautet: ...
Um deine Praktikumswoche für dich und andere zu dokumentieren und zu reflektieren, wirst du ein Portfolio erstellen (Schnellhefter oder Ringbindung). Dein Portfolio soll folgende Inhalte haben: 1. Deckblatt und Inhaltsverzeichnis mit Seitenangaben 2. Darstellung und Reflexion des Praktikums Gedanken vor dem Praktikum: Was erwarte ich ganz persönlich von diesem Praktikum? Was erhoffe ich mir? Was könnte es mir bringen? Wovor haben ich Angst? Welche Bedenken habe ich und warum? Der Praktikumsplatz: Ich stelle meinen Praktikumsplatz vor und präsentiere meine Recherche zur Einrichtung. Tagesberichte vom ersten bis zum letzten Praktikumstag: Was habe ich gemacht? Welche Aufgaben hatte ich? Mit wem habe ich zusammengearbeitet? Wie erging es mir dabei? Was habe ich erlebt? Welche Fragen haben sich ergeben? Was hat mich gefreut, was geärgert oder frustriert und warum? Bei den Tagesberichten kannst du unterschiedliche Formate produzieren. Neben der klassischen Berichtsform, die sich an den oben formulierten Fragestellungen orientiert, und von denen du zwei für dein Portfolio erstellst, wählst du eine mindestens eine weitere Gestaltungsform aus, z.B.
Gedanken nach dem Praktikum: Was habe ich Wichtiges erlebt? Was ist mir schwer gefallen? Was habe ich Neues gelernt? Was hat mir das Praktikum gebracht? Was fand ich gut, was weniger? Warum? Die Texte des Portfolios werden in Schriftgröße 12 getippt, Zeilenabstand 1,5, Blocksatz, Seitenrand links und rechts 4 cm.
Materialien: deine Praktikumsbewerbung mit Anschreiben und Lebenslauf, eine Kopie der Praktikumsbestätigung sowie weitere Materialien, z.B. Broschüren oder Fotos. Beachte hierbei, dass das Fotografieren eines Mitmenschen ohne dessen Einverständnis nicht erlaubt ist, bei Kindern sind die Erziehungsberechtigten zu fragen.
Ich wünsche dir ein interessantes Praktikum und bin gespannt auf deine Erlebnisse und Ergebnisse! Viele Grüße |
6. Der aufbauende Lernprozess in Klasse 9/10
6.1 Schritte der normenkritischen Urteilsbildung
6.3 Lernstandserhebung
Aufbauendes Lernen in der Sekundarstufe I: Ethische Kompetenz
Moralisches und ethisches Reflektieren:
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1 Georg Gnandt, Impulse zu einem (auch) kompetenzorientierten Religionsunterrichts, 11. Mai 2010 Kloster Steinfeld, www.erzbistum-koeln.de , S. 22.
2 Hinweise bietet: Hannah Richter, Portfolio im Religionsunterricht. Eine Möglichkeit nachhaltigen Lernens, in: Loccumer Pelikan 3/10, 137f.
3 Andreas Feindt et al., Kompetenzorientierung im Religionsunterricht. Befunde und Perspektiven, Münster 2009, 14f.