M3 Zusatzinformation zur Ethik Bonhoeffers
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Diese Seite ist Teil einer Materialiensammlung zum Bildungsplan 2004: Grundlagen der Kompetenzorientierung. Bitte beachten Sie, dass der Bildungsplan fortgeschrieben wurde.
Der Freund Bonhoeffers, Eberhard Bethge 1 schreibt in seinem Vorwort vom 9. April 1948: „Dieses Buch ist nicht die Ethik, die Dietrich Bonhoeffer erscheinen lassen wollte.“ Zwar plante Bonhoeffer eine Monographie zur Ethik, diese blieb aber unvollendet. Bethge setzte Fragmente zusammen, die an sich schon eine abenteuerliche Geschichte haben: Manche sind erhalten, weil die Gestapo sie aufbewahrt hatte, andere wurden in Gartenverstecken in Sicherheit gebracht. Entstanden sind die Fragmente in der Zeit zwischen 1940 und 1943 in Berlin, im Kloster Ettal und in Kieckow. In Kieckow wohnte Bonhoeffer immer wieder vorübergehend auf dem Gutshof von Ruth von Kleist-Retzow. Diese war Mitglied der Bekennenden Kirche und Großmutter von Maria von Wedemeyer. Auf dem Gutshof lernte Bonhoeffer seine zukünftige Verlobte näher kennen. Die Szene im Film, in der er an der Ethik arbeitet und sich mit Maria darüber unterhält ist also von den Rahmenbedingungen durchaus vorstellbar.
Das im Unterricht verwendete Fragment zu Wahrheit und Lüge allerdings stammt aus dem Gefängnis in Tegel im Herbst 1943.
In den Fragmenten zur Ethik wird eine Grundstruktur deutlich: Bonhoeffer wendet sich entschieden gegen eine ethische Haltung, welche die persönliche Unschuld über die Verantwortung für den Nächsten stellt: „Jesus will nicht auf Kosten der Menschen als der einzig Vollkommene gelten, will nicht als der einzig Schuldlose auf die unter ihrer Schuld zugrundegehende Menschheit herabsehen, will nicht über den Trümmern einer an ihrer Schuld gescheiterten Menschheit irgendeine Idee eines neuen Menschen triumphieren lassen. [...] Wer sich in der Verantwortung der Schuld entziehen will, löst sich aber auch aus dem erlösenden Geheimnis des sündlosen Schuldtragens Jesu Christi und [...] stellt seine persönliche Unschuld über die Verantwortung für die Menschen, und er ist blind für die heillosere Schuld, die er gerade damit auf sich lädt, blind auch dafür, dass sich die wirkliche Unschuld gerade darin erweist, dass sie um der Menschen willen die Gemeinschaft seiner Schuld eingeht.“ 2 Den entscheidenden Einwand gegen eine solche Haltung sieht Bonhoeffer in Kants Lehre vom Gewissen, welcher wiederum im kategorischen Imperativ eine Haltung lehrt, gegen die Bonhoeffer sich entschieden abgrenzt: „Wenn Kant aus dem Prinzip der Wahrhaftigkeit heraus zu der grotesken Folgerung kommt, ich müsse auch dem in mein Haus eingedrungenen Mörder seine Frage, ob mein Freund, den er verfolgt, sich in mein Haus geflüchtet habe, ehrlicherweise bejahen, so tritt hier die zum frevelhaften Übermut gesteigerte Selbstgerechtigkeit des Gewissens dem verantwortlichen Handeln in den Weg. [...] Die Weigerung, um meines Freundes willen kräftig zu lügen [...], die Weigerung also Schuld zu tragen aus Nächstenliebe, setzt mich in Widerspruch zu meiner in der Wirklichkeit begründeten Verantwortung.“ 3 Hier wird deutlich, welches das Prinzip ist, an dem sich nach Bonhoeffer christliche Ethik zu orientieren hat: Es ist die Nächstenliebe. Wenn Bonhoeffer gerade dieses Beispiel Kants wählt, dann sicherlich auch deshalb, weil zu diesem Zeitpunkt die Vorstellung, die Gestapo werde in ein Haus eindringen und Druck ausüben, den Freund zu verraten, Bonhoeffer sehr nahe gelegen haben muss. Bonhoeffer sieht entsprechend die Entscheidung zur Schuldübernahme aus Verantwortung unter dem Maßstab der Nächstenliebe als eine Entscheidung gegen das Gesetz und für Christus, auf dessen Gnade der Sünder hoffen darf.
Umsetzungsbeispiel Doppelstunde:
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1
Dietrich Bonhoeffer: Ethik, zusammengestellt und herausgegeben von Eberhard Bethge, Chr. Kaiser Verlag, München
8
1975 (1949), S. 255f.
2
Ebd. S. 260.
3
Vgl. zum Folgenden auch Renate Wind: Dem Rad in die Speichen fallen. Die Lebensgeschichte Dietrich Bonhoeffers, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh
4
2006 (1990). Besonders Kapitel „Die Maskerade des Bösen. 1940-1943. S. 171-189.