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Vasenmalerei


Mehr Möglichkeiten für eine kulturelle Kontextualisierung bietet da die Vasenmalerei. Ihre ausführliche unterrichtliche Behandlung bietet sich aus zwei Gründen an: Zum einen handelt es sich um eine Kunstgattung, die (mindestens der allgemeinen Wahrnehmung nach) für die griechische Kultur spezifisch ist, sodass es naheliegt, sie schwerpunktmäßig im Griechischunterricht zu behandeln. Entsprechend spielen Vasenbilder in Griechisch-Lehrwerken eine prominente Rolle: Der Kantharos bietet 21 Vasenbilder oder Ausschnitte daraus, von denen acht farbig abgebildet sind; ein Gefäß – abgesehen von dem Titelbild – ist in voller Größe zu sehen. 1 In Hellas finden sich 30 Vasenbilder (darunter neun farbige Abbildungen und drei vollständig abgebildete Gefäße), die zwei Bände von Kairos enthalten 41 Vasenbilder (davon vier vollständig abgebildete Gefäße), das einbändige Unterrichtswerk Xenia 49. 2
Zum anderen zeigen die Vasenbilder oft selbst Bilder ihres Gebrauchs, vor allem beim Symposion und damit ihres primären kulturellen Kontextes. 3 Alle drei Lehrwerke enthalten glücklicherweise mindestens eine Symposion-Szene, 4 auf der Trinkgefäße und ihr Gebrauch zu sehen sind. Mit Hilfe einer Übersicht zu den Vasenformen 5 lassen sich die in diesen Symposion-Szenen abgebildeten Gefäßtypen identifizieren und ihre verschiedenen Funktionen anhand ihrer Benennungen klären. Hellas bietet eine solche Übersicht auf S. 79, Kairos und Xenia nennen Gefäßformen und Stile auf Kulturseiten zu „Griechischen Vasen“ ( Kairos Bd. 1, S. 81; – Xenia S. 208-209). Auch der komplexe Bemal- und Brennvorgang, der ja für die verschiedenen Darstellungsweisen entscheidend ist, wird angesprochen, allerdings entweder grob fehlerhaft oder unvollständig. 6 Hat man Angst, die Komplexität des Brennvorgangs könne die Schüler überfordern oder abschrecken? Dabei gibt es immer wieder Schüler, die von solchen technischen Meisterleistungen der Griechen fasziniert sind. Zudem werden Schüler schon dann, wenn sie nur wenige Vasenbilder betrachtet haben, den Unterschied in der Farbgebung bemerken und den Grund dafür erfahren wollen. 7
Das anhand der Informationsseiten gewonnene Wissen lässt sich auf die sonstigen Vasenbilder im Buch anwenden, indem die Schüler sie zu Gefäßformen und Stilen zuordnen. Das können sie in Hellas besonders gut üben, da sich neben vielen Schalen auch Hydrien, Oinochoen, Peliken, Stamnoi, Kratere und Amphoren finden, sodass ein beträchtlicher Teil aus dem Arsenal üblichen Symposion-Geschirrs repräsentiert ist. Selbst wenn von Gefäßen nur Ausschnitte gezeigt werden, reichen einzelne Details oft aus, um die Gefäßform zu erschließen. Im Ergebnis besitzen die Schüler danach die Fähigkeit, Vasenbilder ihren Gefäßformen ggf. auch ohne entsprechende Beischrift zuzuordnen und die Verwendung des spezifischen Gefäßes zu erklären.
Im Einzelfall kann es sogar gelingen, eine konkrete Darstellung in Beziehung zur Verwendungssituation des Bildträgers zu setzen. Die Lektion 66 der Hellas ist hier ein besonders gelungener, wenn auch seltener Fall (S. 109). 8 Thema ist die aus dem homerischen Dionysos-Hymnos bekannte Erzählung, wie tyrrhenische Seeleute Dionysos entführten, um ihn in die Sklaverei zu verkaufen; der Text folgt im Wesentlichen der Version bei Apollodor 3,37-38. Dazu abgebildet ist die berühmte Schale des Exekias und zwar nicht nur das Schalenbild, sondern die ganze Schale von oben und ohne Beischriften, die Ergebnisse vorwegnähmen.

Vasenmalerei

Die Darstellung 9 mit dem Text zu vergleichen drängt sich geradezu auf. Die Schüler erkennen ohne Schwierigkeiten zentrale Elemente der Geschichte wieder: das Schiff, den Weinstock, Dionysos, die Delphine. Aber die Schüler werden auch Unterschiede bemerken und Fragen wie diese formulieren:

  • Warum ist der Mastbaum noch zu erkennen, wo er sich doch laut Lektionstext in einen Weinstock verwandelt hat (Z. 5: ἐκ τοῦ ἱστοῦ ἄμπελος γίγνεται)?
  • Warum ist Dionysos so groß?
  • Warum regnet es auf dem Bild keinen Wein (vgl. Z. 5: ἄμπελος ..., ἐξ ἧς οἶνος ῥεῖ)?
  • Warum schwimmen die Delphine in der Luft?

Zur ersten Frage wäre zurückzufragen, was sich denn ergäbe, wenn kein Mast, sondern nur der Weinstock zu sehen wäre. Dann, so meinen die einen, hinge das Segel unnatürlich in der Luft; andere antworten, dass man dann nicht mehr auf die Idee der Verwandlung kommen könnte. Dass der Mast nur in Hellas, nicht aber im Homerischen Hymnos sich in einen Weinstock verwandelt, 10 schmälert den Wert dieser Erkenntnis nicht, denn damit machen sich die Schüler ein grundsätzliches Problem in der bildlichen Darstellung von Metamorphosen klar; dessen (vermeintliche) Lösung können sie dann mit der Entscheidung des Exekias vergleichen, die Piraten als „fertige“ Delphine zu malen, nicht als Menschen. Und einmal auf diesen Weg gebracht, erschließen sich die Schüler leicht auch die übermenschlich große Darstellung des Dionysos als Zeichen für dessen Göttlichkeit und Macht (vgl. Z. 4: τὸν Διόνυσον πᾶσι φανερὸν γενέσθαι ἔδει θεὸν ὄντα).
Für das beschriebene Verfahren wurde vorausgesetzt, dass die Schüler zuerst den Text übersetzt haben. Genauso gut kann man aber mit der Besprechung des Bildes beginnen und Fragen formulieren lassen, die ihre Antwort dann bei der anschließenden Übersetzung des Textes erhalten. Ein Vorzug dieser Vorgehensweise wäre, dass die Schüler an ihren eigenen Fragen erkennen würden, dass ein vollständiges Verständnis der Exekias-Schale ohne Kenntnis der Geschichte nicht möglich ist.
Der Vergleich von Text und Bild bringt die Schüler in jedem Fall unwillkürlich zu ersten Einsichten in Prinzipien antiker Bilddarstellungen und in die Andersartigkeit von bildlicher und textlicher Darstellung überhaupt. An einem anderen Beispiel, dem Vergleich der Laokoon-Gruppe mit der entsprechenden Darstellung bei Vergil, hebt K.-H. Niemann den Wert dieser Methode hervor:
„Durch das Wahrnehmen markanter Unterschiede erhalten die Schüler Denkimpulse, die sie dazu ermuntern, sich die jeweils unterschiedliche Gestaltung des Textes und der Plastik bewusst zu machen. Auf der Suche nach Gründen für den unterschiedlichen Befund können sie einerseits die differierenden Intentionen des Autors und des bildlichen Künstlers erfahren und andererseits ein Gespür für die in der jeweiligen Kunstgattung vorgegebenen Zwänge und Darstellungsmittel erfahren.“ 11
Und leichter noch als bei einer Plastik können sich Schüler den originären Verwendungskontext eines Gefäßes wie der Exekias-Schale vorstellen.

Wenn man die Schüler nach der Verwendung dieses Gefäßes befragt und sie dazu bringt, ihr Wissen über die Benutzung solcher Schalen zu aktivieren, dann können sie die Effekte imaginieren, die sich ergaben, wenn die Schale beim Symposion mit Wein gefüllt war: dass auf diese Weise realiter Wein herabregnete und in ihr Delphine und Schiff tatsächlich im „weinfarbenen Meer“ schwammen. Eine Rückerinnerung an die liegenden Symposiasten, die solche Schalen hielten (z. B. in Hellas auf S. 172), würde ihnen auch die ähnliche Position des gelagerten Dionysos augenfällig werden lassen. Und schließlich könnte ihnen noch die Außenseite der Schale mit ihren typischen maskenhaften Augen gezeigt werden, 12 verbunden mit der Frage, was sich für die anderen Symposiasten für ein Anblick ergibt, wenn einer von ihnen gerade aus der Schale trinkt: Dieser verwandelt sich dadurch nämlich selbst – beim Konsum des Weines – für kurze Zeit in ein unmenschliches Wesen mit riesigen, starrenden Augen.
Auf diese Weise können Schüler Schritt für Schritt mit einer zentralen Gattung der griechischen Kunst und deren Kontext bekanntgemacht werden. Wenn sie ihre Kenntnisse an einem so eindrücklichen Stück wie der Exekias-Schale einsetzen können, werden damit Kompetenzen geschult, die der Bildungsplan Baden-Württemberg erst für die Kursstufe fordert: Die Schüler sollen in der Lage sein, „antike Kunstwerke zu benennen und sie im Zusammenhang ihres kulturellen Kontextes […] zu interpretieren.“ 13 Schon in der Lehrbuchphase sollte begonnen werden, dafür die Grundlage zu legen. Klug haben die Autoren des Lehrerbandes zum Kantharos dieses Ziel formuliert:
„Die Bilder haben erst dann ihren Zweck vollkommen erreicht, wenn es gelungen ist, die Beobachtungs- und Kombinationsgabe der Schüler soweit zu schärfen, dass sie aus eigener Kraft den Zugang zu Werken der griechischen Kunst schaffen und sie verstehen lernen. Wie die Texte, so wollen auch die Bilder ‚gelesen’ und dadurch verstanden werden“ (S. 13).
Im Sinne eines kompetenzorientierten Lernens sollte es aber nicht bei der gemeinsamen Besprechung im Unterricht bleiben. Es bietet sich an, die gewonnenen Erkenntnisse von den Schülern produktiv umsetzen zu lassen, indem diese zu dem jeweiligen Stück z. B. ein Info-Blatt gestalten, das bei einer Ausstellung ausliegen könnte oder einen Text für einen Audioguide verfassen. 14 In beiden Fällen müssten sich die Schüler in die Besucher und deren Kenntnishorizont hineinversetzen und sich aktiv mit dem Problem auseinandersetzen, in welcher Reihenfolge und mit welcher Ausführlichkeit die nötigen Information gegeben werden sollten. Mit Hilfe eines Fragebogens, der die wesentlichen Qualitätsmerkmale eines solchen Info-Blattes bzw. Audioguides benennt, können die Schüler (und ggf. auch ihre Lehrkraft) ihre Ergebnisse anschließend gegenseitig evaluieren. Dies wird die Schüler, jenseits des unmittelbaren Zuwachses an Kenntnissen und Fertigkeiten, auch dafür sensibilisieren, bei zukünftigen Ausstellungsbesuchen aufmerksamer mit den dort gebotenen Informationsmöglichkeiten umzugehen. Vielleicht wird es sie sogar die Bilder in ihrer eigenen Umwelt bewusster wahrnehmen lassen.

 


1   S. 36 (Rf. Amphore, Kroisos auf dem Scheiterhaufen).
2   Viele Vasenbilder in Kairos haben aber nur „Briefmarkengröße“ oder zeigen nur einzelne, freigestellte Figuren. Ähnliches findet sich auch in Xenia , aber nicht mehr mit dieser Häufigkeit.
3   Dieser Aspekt steht im Mittelpunkt des unschätzbaren Ausstellungskataloges Kunst der Schale – Kultur des Trinkens , hrsg. v. Klaus Vierneisel/Bernd Kieser, Antikensammlung München 1990.
4   Kantharos S. 153; – Hellas S. 18-19 sowie S. 172; – Kairos Bd. 1, S. 18-19 (ein Göttersymposion – dasselbe Bild wie in Hellas S. 18-19, dort allerdings sw –, dessen Verständnis sich jedoch ohne ein Vergleichsobjekt aus der menschlichen Sphäre nicht erschließt); – Xenia S. 125 (vgl. noch S. 13, 28).
5   Man kann z. B. die Übersichten aus dem Lexikon der Alten Welt, Zürich/Stuttgart 1965, Sp. 3187-3189 heranziehen.
6   Kairos Bd. 1, S. 81: Im schwarzfigurigen Stil werde „das rote Tongefäß mit schwarzer Tonfarbe bemalt“, während beim rotfigurigen Stil „der Hintergrund mit schwarzer Tonfarbe bemalt und die Figuren ausgespart werden“. In Xenia wird zwar das Bemalen mit flüssigem Ton, dem Schlicker erwähnt, nicht aber dessen im Vergleich zum Tongrund unterschiedliches Oxidationsverhalten beim Brennen. So wird dann fälschlicherweise behauptet, bei der rotfigurigen Vasenmalerei werde fast das ganze Gefäß „mit schwarzem [!] Schlicker überzogen und nur die Figuren in ihren Umrissen ausgespart“ (S. 209).
7   Es gibt dazu gute Überblicksdarstellungen von fachwissenschaftlicher Seite: Ingeborg Scheibler, Griechische Töpferkunst. Herstellung, Handel und Gebrauch der antiken Tongefäße, München 21995; – Thomas Mannack, Griechische Vasenmalerei. Eine Einführung, Darmstadt 22012. Für Schülerhand sind oft Museumspublikationen besser geeignet: Martin von Wagner Museum der Universität Würzburg: Das halbe Leben ein Fest. Alltag im antiken Athen, Begleitheft zur Sonderausstellung, Würzburg 2004, S. 25-30 („Besuch in einer Töpferwerkstatt“); – Michael Maaß: Maler und Dichter, Mythos, Fest und Alltag. Griechische Vasenbilder aus der Sammlung des Badischen Landesmuseums Karlsruhe, Karlsruhe 2007, S. 9-26.
8   Umso bedauerlicher ist es, dass weder Text noch Bild im Nachfolger Kairos aufgenommen wurden.
9   Hier abgebildet in der gemeinfreien Version von Wikicommons (Photo: Matthias Kabel):
    http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Exekias_Dionysos_Staatliche_Antikensammlungen_2044.jpg

10   Hier haben die Autoren, offenbar mit Blick auf die Exekias-Schale, ein Detail gleich gegenüber beiden Vorlagen geändert: Bei Apollodor verwandelt Dionysos den Mast in Schlangen, der Hellas -Text lässt wie der Homerische Hymnos vv. 38-40 einen Weinstock samt Trauben wachsen. Dass dieser aus dem Mast wächst und nicht wie im Homerischen Hymnos an ihm entlang (παρὰ ἱστίον ἐξετανύσθη / ἄμπελος), hat methodisch den (wahrscheinlich ungewollten) Vorteil, dass die Schüler beim Text-Bild-Vergleich eine weitere auffällige Diskrepanz entdecken können.
11   Niemann S. 377. Ähnlich auch Stefan Altekamp, „Klassische Archäologie im Griechischunterricht der Schule“, in: Landesverband Nordrhein-Westfalen im Deutschen Altphilologenverband – Mitteilungsblatt 33, Heft 1, 1985, S. 2-6, hier: S. 2-3: „Ansatzweise kann deutlich gemacht werden, auf wie unterschiedliche Weise Geistesgeschichte sich ausdrückte – im Schriftlichen und in der bildenden Kunst – , wie eng sich beide berühren können und wie sehr sie trotzdem eigenen Gesetzen unterworfen bleiben.“
12   Abgebildet z. B. im Kat. Kunst der Schale S. 319.
13   Bildungsplan Baden-Württemberg 2004, S. 396.
14   Die Audioguide-Texte sollten aufgenommen werden, damit sie für die anschließende Bewertung tatsächlich auditiv wahrgenommen werden können.

 

Bilder im Anfangsunterricht Griechisch: Herunterladen [doc][140 KB]

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