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Ge­mein­sa­me Wahr­heits­fin­dung im "Kri­ton"?

In­fo­box

Diese Seite ist Teil einer Ma­te­ria­li­en­samm­lung zum Bil­dungs­plan 2004: Grund­la­gen der Kom­pe­tenz­ori­en­tie­rung. Bitte be­ach­ten Sie, dass der Bil­dungs­plan fort­ge­schrie­ben wurde.


Auf­ga­ben

1. a) An Kri­tons Stel­le würde ich mich von So­kra­tes ernst ge­nom­men füh­len.

Trifft nicht zu, die „spre­chen­den Ge­set­ze“ war­nen So­kra­tes davor, Kri­ton zu glau­ben.

b) Ich fühle mich von So­kra­tes ein­ge­schüch­tert.

Trifft zu, die An­füh­rung von der­art gro­ßen Au­to­ri­tä­ten wie der Ge­set­ze bringt Kri­ton zwangs­läu­fig in die Rolle des Un­ter­le­ge­nen.

c) So­kra­tes ver­mit­telt den Ein­druck, dass er mich als gleich­be­rech­tig­ten Dia­log­part­ner sieht.

Trifft nicht zu, wie schon die Ver­tei­lung der Re­de­an­tei­le und die Sug­ges­tiv­fra­gen zei­gen: Kri­ton hat wenig Ge­le­gen­heit, den Dia­log zu be­ein­flus­sen.

d) So­kra­tes ar­gu­men­tiert an­ge­mes­sen, und mir leuch­tet alles ein.

Trifft nicht zu, die Ar­gu­men­ta­ti­on ist ein­sei­tig und könn­te wi­der­legt wer­den. (Es geht nicht um die Ge­set­ze, son­dern um deren fal­sche An­wen­dung.)

e) Ich fühle mich von So­kra­tes und sei­ner Ar­gu­men­ta­ti­on über­rum­pelt.

Trifft zu (s. b)

f) So­kra­tes kann bes­ser reden als ich.

Trifft zu, denn sein rhe­to­ri­scher Trick ist sehr wir­kungs­voll.

g) Ich weiß nicht was, aber ir­gend­et­was stimmt mit sei­ner Ar­gu­men­ta­ti­on nicht.

Trifft zu, Ge­set­ze kön­nen nicht spre­chen, son­dern nur Men­schen, die Ge­set­ze an­wen­den. Wenn Ge­set­ze spre­chen, ist dies immer eine In­ter­pre­ta­ti­on.

 

2.

  Ex­per­te für den Kör­per (Arzt, Turn­leh­rer) Ex­per­te für ethi­sche Fra­gen
Zu­stän­dig für: Wohl­er­ge­hen des Kör­pers Ent­schei­dung ethi­scher Fra­gen
Fol­gen bei Miss­ach­tung ihres Rates: Krank­heit, Ver­fall des Kör­pers - das Leben wird da­durch nicht mehr le­bens­wert Scha­den an der Seele - Leben wird da­durch nicht mehr le­bens­wert
Kon­kre­te Be­deu­tung für die Si­tua­ti­on des So­kra­tes   keine Ori­en­tie­rung an der Menge, Ak­zep­tie­ren der Stra­fe

 

3. So­kra­tes lässt die Ge­set­ze spre­chen, die be­haup­ten, er sei mit ihnen von frü­hes­ter Ju­gend an einen Ver­trag ein­ge­gan­gen. Da er gegen die­sen Ver­trag nie pro­tes­tiert habe, sei er auch jetzt an ihn ge­bun­den und müsse die To­des­stra­fe ak­zep­tie­ren.

 

4. So­kra­tes setzt sich nur un­zu­rei­chend mit mög­li­chen Ge­gen­ar­gu­men­ten aus­ein­an­der (Ver­mei­dung eines Jus­tiz­irr­tums; Recht auf Wi­der­spruch bei fal­schen Ur­tei­len; fal­sche An­wen­dung an sich rich­ti­ger Ge­set­ze; po­si­ti­ves Recht gilt nicht ab­so­lut, son­dern muss im Ein­klang mit Na­tur­recht ste­hen). Des­halb ist sein Au­to­ri­täts­be­weis ein Fehl­schluss.

 

5 a) Ci­ce­ro soll Ca­ti­li­na als Staats­feind be­han­deln und ihn töten.

5b) Der Trick Ci­ce­ros soll den Man­gel kom­pen­sie­ren, dass von Rechts wegen keine Maß­nah­men mög­lich sind. Die Rhe­to­rik um­geht damit den Rechts­weg. Und da Ci­ce­ro den Ge­set­zen seine An­sicht in den Mund legen kann, die Ge­set­ze also in sei­nem Sinn in­ter­pre­tiert, ist die­ses Vor­ge­hen sehr ge­fähr­lich, da es sich jeder Kon­trol­le ent­zieht.

5c) Ähn­lich wie bei Pla­ton und bei Ci­ce­ro kann eine sol­che Rede die Mei­nung der „pa­tria“ nach den ei­ge­nen Zwe­cken ge­stal­ten.

5d) Die­ses Ver­fah­ren ist ge­fähr­lich, da diese Au­to­ri­tä­ten so reden kön­nen,wie es den In­ter­es­sen ihres In­ter­pre­ten ent­spricht. Es ist eine Rhe­to­rik, die auf Ein­schüch­te­rung und auf Un­anf­greif­bar­keit aus ist und sich der Kon­trol­le durch an­de­re ent­zie­hen möch­te.

 

6. Er­füllt sind: ge­mein­sa­mes Ge­spräch zur Er­ör­te­rung einer ent­schei­den­den ethi­schen Frage; die An­nah­men der Part­ner wer­den deut­lich und zum Ge­gen­stand des Nach­den­kens, der Über­prü­fung; die Part­ner spre­chen offen mit­ein­an­der;

Nicht er­füllt sind: frag­lich scheint, ob So­kra­tes wirk­lich ler­nen oder ob er sich nur be­haup­ten will; er äu­ßert seine Mei­nun­gen - vor allem durch die Be­ru­fung auf die an­ge­führ­ten Au­to­ri­tä­ten - als letz­te Wahr­heit, gegen die Kri­ton kaum noch Wi­der­spruch ein­le­gen kann; Kri­ton wird kaum dazu er­mu­tigt, seine ab­wei­chen­de Mei­nung zu ver­tei­di­gen; ten­den­zi­ell ent­steht der Ein­druck, dass So­kra­tes Kri­ton für naiv und für be­leh­rungs­wür­dig hält.

 

7. Kri­ton könn­te auf fol­gen­de Ar­gu­men­te ver­wei­sen: Ver­mei­dung eines Jus­tiz­irr­tums; Recht auf Wi­der­spruch bei fal­schen Ur­tei­len; fal­sche An­wen­dung an sich rich­ti­ger Ge­set­ze; po­si­ti­ves Recht gilt nicht ab­so­lut, son­dern muss im Ein­klang mit Na­tur­recht ste­hen; So­kra­tes hat die Pflicht, sich zu wi­der­set­zen wegen sei­ner Ver­ant­wor­tung als Ehe­mann und Vater, und er könn­te so auch dazu bei­tra­gen, die ju­ris­ti­sche und po­li­ti­sche Si­tua­ti­on zu ver­bes­sern. Seine Be­weis­füh­rung ist frag­wür­dig; was die Ge­set­ze sagen, ist seine In­ter­pre­ta­ti­on und kann keine all­ge­mei­ne Gül­tig­keit be­an­spru­chen (s. Auf­ga­be 4).

Ad­ditum
  1. Beide be­haup­ten, dass Ge­set­ze / ethi­sche Ge­bo­te ab­so­lut und ri­go­ros gel­ten. Mo­ti­ve für ein Zu­wi­der­han­deln spie­len keine Rolle.
  2. Um zu mensch­lich an­nehm­ba­ren Ent­schei­dun­gen zu kom­men, ist eine strik­te Gel­tung von Ge­bo­ten pro­ble­ma­tisch. Die be­son­de­ren Um­stän­de und Mo­ti­ve müs­sen mit ein­be­zo­gen wer­den.

 


Un­ter­richts­mo­del­le zur För­de­run­gen der per­so­na­len Kom­pe­ten­zen bei der In­ter­pre­ta­ti­ons­ar­beit: Her­un­ter­la­den [doc][623 KB]