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Das Bei­spiel „Rhe­to­rik und Rhe­to­rik­kri­tik“

In­fo­box

Diese Seite ist Teil einer Ma­te­ria­li­en­samm­lung zum Bil­dungs­plan 2004: Grund­la­gen der Kom­pe­tenz­ori­en­tie­rung. Bitte be­ach­ten Sie, dass der Bil­dungs­plan fort­ge­schrie­ben wurde.

7.2

Vor­be­mer­kung

Im fol­gen­den wer­den vor­nehm­lich aus Pla­ton ei­ni­ge Stel­len vor­ge­stellt, die sich mit Rhe­to­rik und mit Kom­mu­ni­ka­ti­on be­schäf­ti­gen. Teil­wei­se kön­nen diese Texte wäh­rend oder im An­schluss an die Ein­heit zu Pla­tons "Gor­gi­as" (s. Nr. 5) ein­ge­setzt wer­den.

Die bei­den ers­ten The­men zie­len auf einen Ver­gleich der So­phis­ten und ihres Kom­mu­ni­ka­ti­ons­mo­dells mit ak­tu­el­len Ent­wick­lun­gen des In­ter­nets. Das In­ter­net-Le­xi­kon Wi­ki­pe­dia ist ähn­lich wie die so­phis­ti­sche Kom­mu­ni­ka­ti­on or­ga­ni­siert: im Prin­zip kann sich jeder an der Ge­stal­tung der Ar­ti­kel be­tei­li­gen. Es gibt nicht – wie  bei Pla­ton – den einen Wis­sen­den, den Ex­per­ten, der über rich­tig oder falsch wa­chen und auf­grund sei­ner hö­he­ren Ein­sicht über die Ge­stal­tung des Ar­ti­kels ent­schei­den würde, son­dern ein Pro­zess von Rede und Ge­gen­re­de, von Vor­schlag und Ver­bes­se­rung, führt all­mäh­lich zu einem all­ge­mein ak­zep­tier­ten Er­geb­nis. Da­ge­gen wür­den die her­kömm­li­chen, in Ver­la­gen pu­bli­zier­ten und von na­ment­lich greif­ba­ren Au­to­ren er­stell­ten Le­xi­ka eher dem pla­to­ni­schen Vor­ge­hen ent­spre­chen. Je­mand, der ein hö­he­res Wis­sen hat, er­stellt einen Text und ein Ver­lag ga­ran­tiert ins­ge­samt die Qua­li­tät des Pro­dukts. Mög­li­cher­wei­se be­fin­den wir uns in einer kul­tu­rel­len Um­bruchs­pha­se: wir nä­hern uns, wie die di­ver­sen Dis­kus­si­ons­fo­ren des In­ter­nets zei­gen, einer Art von Öf­fent­lickeit, die we­sent­lich mehr Men­schen aktiv be­tei­ligt und da­durch mit dem so­phis­ti­schen Mo­dell ver­wandt ist.  – Dies zeigt sich auch bei der so ge­nann­ten "Schwar­min­tel­li­genz", die davon aus­geht, dass viele ein­zel­ne in der Summe zu bes­se­ren Ent­schei­dun­gen kom­men kön­nen als ein ein­zel­ner Ex­per­te. Auch hier wird das große Ver­trau­en er­schüt­tert, das der pla­to­ni­sche An­satz in den ein­zel­nen Fach­mann setzt.  Die­ser op­ti­mis­ti­schen Sicht kann je­doch die War­nung vor dem ge­fähr­li­chen Ver­hal­ten von Mas­sen, die be­son­ders ein­fluss­reich LeBon er­ho­ben hat, ent­ge­gen­ge­stellt wer­den.

Der So­kra­tes-Pro­zess ist nicht zu­letzt auch ein Rin­gen um die rich­ti­ge Re­de­wei­se, um die rich­ti­ge Rhe­to­rik. Wäh­rend So­kra­tes die Rhe­to­rik sei­ner An­klä­ger kri­ti­siert, be­harrt er auf sei­ner Art zu reden, die zwar auf ihre Weise eben­so ge­konnt und be­wusst ein­ge­setzt wird, aber vor allem die Wahr­heit in den Mit­tel­punkt rückt. Des­halb ver­wahrt sich So­kra­tes auch am Schluss der "Apo­lo­gie" gegen die Vor­hal­tung, er habe sich rhe­to­risch un­an­ge­mes­sen ver­hal­ten und nicht ge­nü­gend auf Mit­leid und Af­fek­te ge­setzt. So­kra­tes re­flek­tiert je­doch nicht nur die un­mit­tel­ba­re rhe­to­ri­sche Si­tua­ti­on vor Ge­richt, son­dern auch die all­ge­mei­ne Kom­mu­ni­ka­ti­ons­si­tua­ti­on, vor deren Hin­ter­grund sein Pro­zess statt­fin­det. Ge­fähr­lich für ihn ist nicht nur die of­fi­zi­el­le An­kla­ge, son­dern auch das Bild, das von Ver­leum­dern in der öf­fent­li­chen Mei­nung von ihm er­zeugt wurde, wie er gleich zu An­fang der "Apo­lo­gie" her­aus­stellt. Wäh­rend die Si­tua­ti­on vor Ge­richt in ge­wis­ser Weise über­schau­bar und ra­tio­nal greif­bar ist, ent­zieht sich der öf­fent­li­che Dis­kurs über seine Per­son weit­ge­hend einem di­rek­ten Zu­griff. Vor Ge­richt hat er es mit per­sön­lich be­kann­ten Geg­nern zu tun, der Pro­zess er­folgt nach fes­ten Re­geln und er kann sich ar­gu­men­ta­tiv mit den An­kla­ge­punk­ten aus­ein­an­der set­zen. In der Öf­fent­lich­keit ist – mit der Aus­nah­me des Aris­to­pha­nes -  der Kreis der Per­so­nen, die ihn ver­leum­den, nicht kon­kret fass­bar. An­ders als vor Ge­richt muss das öf­fent­li­che Bild des So­kra­tes nicht mit Ar­gu­men­ten be­wie­sen wer­den: Was über So­kra­tes ge­re­det und ge­glaubt wird, muss nicht stim­men. Es exis­tiert un­ab­hän­gig von der rea­len Figur. – Diese "Apo­lo­gie"-Stel­le zeigt sehr ein­drück­lich, dass das "Image" einer Per­son un­ab­hän­gig von ihr exis­tie­ren kann. Dies spielt heute in der me­dia­len Ver­mitt­lung von Per­so­nen eine große Rolle. Es gibt kaum einen in der Öf­fent­lich­keit dis­ku­tier­ten Pro­zess, in dem nicht um­fang­reich über Cha­rak­ter, Vor­le­ben, Ge­wohn­hei­ten etc. der be­tei­lig­ten Per­so­nen Mut­ma­ßun­gen an­ge­stellt wer­den. Das In­ter­net treibt dies noch wei­ter: Hier kön­nen sich An­sich­ten von Per­so­nen ver­brei­ten, die mit den rea­len nur noch lose Be­zü­ge haben und die auch – ähn­lich wie bei So­kra­tes – kaum mehr kor­ri­gier­bar sind. – Auf das Wesen und die Ge­fah­ren der­ar­ti­ger kom­mu­ni­ka­ti­ver Zu­sam­men­hän­ge kön­nen Ss. durch diese "Apo­lo­gie"-Stel­le auf­merk­sam wer­den

 


Ak­tua­li­sie­run­gen im Grie­chisch-Un­ter­richt: Her­un­ter­la­den [doc][403 KB]

 

wei­ter mit So­phis­ti­sche Rhe­to­rik / In­ter­net-Le­xi­kon „Wi­ki­pe­dia“