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Rezeption der Rhetorikproblematik

Der Typus des Redners bei Cicero

Cicero hat zu Beginn eines seiner rhetorischen Lehrbücher (De inventione – Über die Findung des Stoffs) eine Theorie über die Kulturentstehung gestellt. Der Mensch habe den unzivilisierten Naturzustand durch die Erfindung der Rhetorik überwunden …

Cicero, de inventione I, 2

 

Nam fuit quoddam tempus , cum in agris homines passim bestiarum modo vagabantur et sibi victu fero vitam propagabant nec ratione animi quicquam , sed pleraque viribus corporis administrabant , nondum diuinae religionis , non humani officii ratio colebatur , nemo nuptias viderat legitimas , non certos quisquam aspexerat liberos , non , ius aequabile quid utilitatis haberet , acceperat . Ita propter errorem atque inscientiam caeca ac temeraria dominatrix animi cupiditas ad se explendam viribus corporis abutebatur , perniciosissimis satellitibus . Quo tempore quidam magnus videlicet vir et sapiens cognovit , quae materia esset et quanta ad maximas res opportunitas in animis inesset hominum , si quis eam posset elicere et praecipiendo meliorem reddere ; qui dispersos homines in agros et in tectis silvestribus abditos ratione quadam conpulit unum in locum et congregavit et eos in unam quamque rem inducens utilem atque honestam primo propter insolentiam reclamantes , deinde propter rationem atque orationem studiosius audientes ex feris et inmanibus mites reddidit et mansuetos .

Denn es gab eine bestimmte Zeit, als die Menschen überall auf den Feldern wie wilde Tiere umherstreiften und ihr Leben mit einer wilden Lebensweise und nicht mit der Vernunft des Geistes fristeten, sondern die meisten Herausforderungen mit körperlicher Kraft bewältigten; die Lehre von der Götterverehrung und der Pflicht des Menschen hatte noch keine Geltung,  noch niemand hatte gesetzmäßige Hochzeiten kennen gelernt, keiner hatte die Kinder als eigene angesehen und keiner hatte begriffen, welchen Nutzen das gleiche Recht hat. So missbrauchte wegen Irrtum und Unkenntnis die Begierde, eine blinde und unüberlegte Herrscherin des Menschen, die Kräfte des Körpers, höchst verderbliche Hilfskräfte, zur eigenen Befriedigung. Zu dieser Zeit erkannte ein bedeutender, natürlich und weiser Mann, welches Potential und welche Möglichkeit zu den größten Errungenschaften in den Menschen liegen, falls jemand diese hervorlocken und sie durch Lehren verbessern könnte; dieser hat die auf den Feldern zerstreuten und im Schutz des Waldes verborgenen Menschen an einem einzigen Ort zusammengetrieben und vereinigt, indem er sie in eine jede nützliche und ehrenhafte Sache einführte, obwohl sie erst wegen seines ungewöhnlichen Auftretens ihm widersprachen, darauf aber machte er sie, die wegen seiner Vernunft und seiner Rede eifriger auf ihn hörten, aus Wilden und Unzivilisierten zu sanftmütigen und friedlichen Menschen. (Übersetzung: Uwe Neumann)

 

Aufgaben:

  1. Zeigen Sie mit lateinischen Zitaten die Merkmale des menschlichen Naturzustands und die Leistung der Rhetorik!
  2. Unterstützt diese Darstellung Ciceros eher die Auffassung des Gorgias oder die des Sokrates über die Rhetorik?
  3. An welchen Stellen könnte man kritische Einwände gegen diese Rhetorikkonzeption Ciceros formulieren?
  4. Stellen Sie sich vor, Gorgias könnte mit Cicero über die Rhetorik diskutieren. Gestalten Sie diesen Dialog!

 


Lernstandsdiagnosen und Binnendifferenzierung in der Kursstufen-Lektüre:
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