Zur Hauptnavigation springen [Alt]+[0] Zum Seiteninhalt springen [Alt]+[1]

Platon und der Dialog: Gemeinsame Wahrheitsfindung im „Kriton“?

Infobox

Diese Seite ist Teil einer Materialiensammlung zum Bildungsplan 2004: Grundlagen der Kompetenzorientierung. Bitte beachten Sie, dass der Bildungsplan fortgeschrieben wurde.


Platon hat den Dialog als Mittel der gemeinsamen Wahrheitssuche in der philosophischen Literatur etabliert.

Trotz aller Verdienste sind die platonischen Dialoge keine herrschaftsfreien Diskurse, in der die Teilnehmer gleichberechtigt sich mit einem Problem beschäftigen und zu einer gemeinsamen Lösung kommen. Vielmehr ist die Struktur asymmetrisch, indem die Redeanteile, aber vor allem auch die Gestaltungsmacht ungleich verteilt sind. Sokrates führt das Gespräch, er stellt die Fragen und gibt damit die Richtung vor. Oft kann der Dialogpartner nur kurz antworten. Das Verfahren des Sokrates führt zwar im Allgemeinen zu keinem festen Wissen, aber er gestaltet das Gespräch in jedem Fall aus einer höheren Position heraus, weil er die offenkundigen Schwachstellen in der Darlegung des Dialogpartners offenlegt. Die Widerlegung ist das Ergebnis des Dialogs, und dieses wird von Sokrates herbeigeführt.

Im Dialog „Kriton“ legt Sokrates seinem Partner dar, weshalb er das Todesurteil annimmt und nicht aus dem Gefängnis flieht. Die philosophische Naivität Kritons bestimmt auch hier die Argumentation des Sokrates. Er führt Autoritäten an, die es Kriton möglichst schwer machen sollen, die Ansicht des Sokrates in Zweifel zu ziehen. Dabei stellt Sokrates in einer Analogie einen Turnlehrer, der der maßgebliche Experte in Fragen der körperlichen Fitness ist, mit einem Sachverständigen in ethischen Fragen gleich, der als einziger auch über das richtige Verhalten des inhaftierten Sokrates befinden darf. Mit dieser Analogie werden die Ansichten der Menge abgewertet, und die ethischen Fragen sind nicht Gegenstand eines allgemeinen Nachdenkens, sondern sind durch einen wie auch immer legitimierten Experten entscheidbar. Der Experte ist dabei immer ein einziger, eine Pluralität der Meinungen kommt in diesem Denkbild nicht vor.

Im weiteren Verlauf stützt sich Sokrates auf eine weitere, kaum mehr steigerbare Autorität, nämlich die personifizierten Gesetze Athens, die mit ihm sprechen und ihn über das richtige Verhalten nach dem Todesurteil belehren. Diese Instanz erkennt Sokrates vorbehaltlos an, und Kriton wird dadurch so eingeschüchtert, dass er das Ergebnis dieser Darlegung nicht mehr hinterfragen kann. Sokrates spart dabei jedoch eine eigentliche philosophische oder ethische Begründung für sein Verhalten aus. Die entscheidenden Fragen werden aus diesem Grund auch gar nicht gestellt, etwa weshalb ein ungerechtes Urteil bindend sein kann, weshalb nicht unterschieden wird zwischen der Ebene der Gesetze und der der Rechtsprechung. Mit der Flucht hätte sich Sokrates ja auch gar nicht gegen die Gesetze aufgelehnt, sondern gegen ihre falsche und ungerechte Anwendung in einem Justizirrtum. Die absolute und unbedingte Gültigkeit der von Menschen gemachten Gesetze, also des positiven Rechtes, ist auch deshalb fragwürdig, weil es ja mit dem Naturrecht (oder mit der platonischen Idee des Guten) tatsächlich auch eine Instanz über ihnen gibt.

 


Unterrichtsmodelle zur Förderungen der personalen Kompetenzen bei der Interpretationsarbeit: Herunterladen [doc][623 KB]

 

weiter mit Texte