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Was wol­len wir im Re­li­gi­ons­un­ter­richt?

In­fo­box

Diese Seite ist Teil einer Ma­te­ria­li­en­samm­lung zum Bil­dungs­plan 2004: Grund­la­gen der Kom­pe­tenz­ori­en­tie­rung. Bitte be­ach­ten Sie, dass der Bil­dungs­plan fort­ge­schrie­ben wurde.

Möch­te man im Re­li­gi­ons­un­ter­richt, die Schü­le­rin­nen und Schü­ler kom­pe­tent ma­chen, muss man sich zu­nächst fra­gen, was Schü­le­rin­nen und Schü­ler für die die re­li­giö­se Pra­xis mög­li­cher­wei­se in ihrem Leben keine oder nur eine un­ter­ge­ord­ne­te Rolle spielt, durch den zwölf­jäh­ri­gen Be­such des kon­fes­sio­nel­len Re­li­gi­ons­un­ter­richts über­haupt ler­nen wol­len, kön­nen oder sol­len. Was sind die Ziele des Re­li­gi­ons­un­ter­richts? Was ist letzt­li­che re­li­giö­se Bil­dung? Was ist eine „re­li­giö­se Kom­pe­tenz“ oder eine „Kom­pe­tenz in Sa­chen Re­li­gi­on“?

Ul­rich Hemel de­fi­niert be­reits 1988 in sei­ner Ha­bi­li­ta­ti­ons­schrift die „re­li­giö­se Kom­pe­tenz“ als „ er­lern­ba­re, kom­ple­xe Fä­hig­keit zum ver­ant­wort­li­chen Um­gang mit der ei­ge­nen Re­li­gio­si­tät in ihren ver­schie­de­nen Di­men­sio­nen und in ihren le­bens­ge­schicht­li­chen Wand­lun­gen [3] , die er in fünf Di­men­sio­nen aus­buch­sta­biert und zwar:

  • Di­men­si­on der re­li­giö­sen Sen­si­bi­li­tät;
  • Di­men­si­on der re­li­giö­sen In­halt­lich­keit;
  • Di­men­si­on der re­li­giö­sen Kom­mu­ni­ka­ti­on;
  • Di­men­si­on des re­li­giö­sen Aus­drucks­ver­hal­tens;
  • Di­men­si­on des re­li­giö­sen Ethos. [4]

In den Fol­ge­jah­ren wur­den in der re­li­gi­ons­päd­ago­gi­schen De­bat­te zahl­rei­che wei­te­re Mo­del­le ent­wi­ckelt, die die re­li­giö­se Kom­pe­tenz eben­falls in un­ter­schied­li­che Di­men­sio­nen glie­dern, zu­meist je­doch in zen­tra­len Punk­ten mit Hemel und un­ter­ein­an­der über­ein­stim­men.
Zu­nächst bie­tet sich eine grund­le­gen­de Un­ter­schei­dung an, wie sie Mendl [5] und das „ Ber­li­ner Mo­dell re­li­giö­ser Kom­pe­tenz “ vor­neh­men wenn sie zwi­schen „ Deute-Kom­pe­tenz und Par­ti­zi­pa­ti­ons­kom­pe­tenz “ un­ter­schei­den. Sie glie­dern die re­li­giö­se Kom­pe­tenz somit in die Fä­hig­kei­ten, re­li­gi­ös re­le­van­te Phä­no­me­ne wahr­zu­neh­men und ent­spre­chend zu deu­ten und– even­tu­ell – aktiv an re­li­giö­sen Voll­zü­gen teil­zu­neh­men. Beide Teil­kom­pe­ten­zen er­stre­cken sich – so das Ber­li­ner Mo­dell – je­weils auf die Be­zugs­re­li­gi­on des Re­li­gi­ons­un­ter­richts, an­de­re Re­li­gio­nen und au­ßer­re­li­giö­se Be­rei­che (z.B. Ge­sell­schaft, Me­di­en …) und be­din­gen sich in ihrer Ent­wick­lung ge­gen­sei­tig. [6]

Eng­lert ging 1998 von der Trias von „ Fä­hig­keit zur re­li­giö­sen Welt­deu­tung, Fä­hig­keit zur In­ter­pre­ta­ti­on re­li­giö­ser Tra­di­tio­nen, Fä­hig­keit zur per­sön­li­chen re­li­giö­sen Po­si­tio­nie­rung [7] aus und er­wei­ter­te dies 2007 zu einem Kom­pe­tenz­mo­dell mit fünf Di­men­sio­nen:

  • Re­li­giö­ses Ori­en­tie­rungs­wis­sen;
  • Theo­lo­gi­sche Frage- und Ar­gu­men­ta­ti­ons­fä­hig­keit;
  • Spi­ri­tu­el­les Wahr­neh­mungs- und Aus­drucks­ver­mö­gen;
  • Ethi­sche Be­grün­dungs­fä­hig­keit;
  • Le­bens­welt­li­che Ap­pli­ka­ti­ons­fä­hig­keit. [8]

Das Kom­pe­tenz­mo­dell der Kirch­li­chen Richt­li­ni­en zu den Bil­dungs­stan­dards (2003) un­ter­schei­det sie­ben Ka­te­go­ri­en.

  • re­li­giö­se Phä­no­me­ne wahr­neh­men;
  • re­li­giö­se Spra­che ver­ste­hen und ver­wen­den;
  • re­li­giö­se Zeug­nis­se ver­ste­hen;
  • re­li­giö­ses Wis­sen dar­stel­len;
  • in re­li­giö­sen Fra­gen be­grün­det ur­tei­len;
  • sich über re­li­giö­se Fra­gen und Über­zeu­gun­gen ver­stän­di­gen;
  • aus re­li­giö­ser Mo­ti­va­ti­on han­deln. [9], [10]

Ähn­lich sind die fünf Di­men­sio­nen, die die Ein­heit­li­chen Prü­fungs­an­for­de­run­gen für die Ab­itur­prü­fung (2006) als Grund­la­ge re­li­giö­ser Kom­pe­tenz nen­nen:

  • Wahr­neh­mungs- und Dar­stel­lungs­fä­hig­keit – re­li­gi­ös be­deut­sa­me Phä­no­me­ne wahr­neh­men und be­schrei­ben;
  • Deu­tungs­fä­hig­keit – re­li­gi­ös be­deut­sa­me Spra­che und Zeug­nis­se ver­ste­hen und deu­ten;
  • Ur­teils­fä­hig­keit – in re­li­giö­sen und ethi­schen Fra­gen be­grün­det ur­tei­len;
  • Dia­log­fä­hig­keit – am re­li­giö­sen Dia­log ar­gu­men­tie­rend teil­neh­men;
  • Ge­stal­tungs­fä­hig­keit – re­li­gi­ös be­deut­sa­me Aus­drucks- und Ge­stal­tungs­for­men re­flek­tiert ver­wen­den. [11], [12]

Die Stu­die des Co­me­ni­us-In­sti­tuts (2005) geht eben­so von fünf Di­men­sio­nen der Er­schlie­ßung von Re­li­gi­on aus:

  • Per­zep­ti­on: Wahr­neh­men, Be­schrei­ben;
  • Ko­gni­ti­on: Ver­ste­hen, Deu­ten;
  • Per­form­anz: Ge­stal­ten, Han­deln;
  • In­ter­ak­ti­on: Kom­mu­ni­zie­ren, Ur­tei­len;
  • Par­ti­zi­pa­ti­on: Teil­ha­ben, Ent­schei­den.

Diese Di­men­sio­nen zei­gen sich je­weils in vier Ge­gen­stands­be­rei­chen, in denen den Schü­le­rin­nen und Schü­lern Re­li­gi­on be­geg­net: (1) Sub­jek­ti­ve Re­li­gi­on, (2) Be­zugs­re­li­gi­on des Re­li­gi­ons­un­ter­richts (Chris­ten­tum evan­ge­li­scher Prä­gung), (3) an­de­re Re­li­gio­nen und/oder Welt­an­schau­un­gen, (4) Re­li­gi­on als ge­sell­schaft­li­ches Phä­no­men. Diese Be­rei­che wer­den dann für die Be­wäl­ti­gung kon­kre­ter Le­bens­si­tua­tio­nen kon­kre­ti­siert (z.B. für ein Ge­spräch über per­sön­li­che Glau­bens­über­zeu­gun­gen (sub­jek­ti­ve Re­li­gi­on) oder für die For­mu­lie­rung eines Ge­bets bei der Vor­be­rei­tung eines Schul­got­tes­diens­tes (Be­zugs­re­li­gi­on des Re­li­gi­ons­un­ter­richts)). [13], [14]

Helb­ling (2011) de­fi­niert re­li­giö­se Kom­pe­tenz fol­gen­der­ma­ßen: „Re­li­giö­se Kom­pe­tenz ist zu ver­ste­hen als selbst­be­stimm­te Hand­lungs­fä­hig­keit im Kon­text re­li­giö­ser Plu­ra­li­tät und be­inhal­tet, den ei­ge­nen re­li­giö­sen Hin­ter­grund sowie den von an­de­ren be­wusst und ver­ant­wor­tet wahr­zu­neh­men,
sich darin zu ori­en­tie­ren und sich mit an­de­ren dar­über zu ver­stän­di­gen“. [15]
Deut­lich wer­den hier die Di­men­sio­nen der Wahr­neh­mung, der Ori­en­tie­rung und der Ver­stän­di­gung an­ge­strebt. [16]

Scham­beck (2009/2011) spricht von einer drei­di­men­sio­na­len Kom­pe­tenz im Bezug auf Re­li­gi­on:

  • Wahr­neh­mungs­kom­pe­tenz bzw. äs­the­ti­sche Kom­pe­tenz;
  • Re­fle­xi­ons- und Ver­stän­di­gungs­kom­pe­tenz – her­me­neu­tisch-re­fle­xi­ve und her­me­neu­tisch-kom­mu­ni­ka­ti­ve Kom­pe­tenz;
  • prak­ti­sche Kom­pe­tenz. [17]

Ver­gleicht man diese Mo­del­le, so fällt auf, dass sie fast alle in we­sent­li­chen Zügen über­ein­stim­men: Die Schü­le­rin­nen und Schü­ler sol­len ler­nen, re­li­giö­se Phä­no­me­ne über­haupt als sol­che wahr­zu­neh­men (Sen­si­bi­li­tät, Wahr­neh­mungs­kom­pe­tenz, Per­zep­ti­on), re­li­giö­se Sprach­for­men zu ver­ste­hen und zu deu­ten (Ko­gni­ti­on, her­me­neu­tisch-re­fle­xi­ve Kom­pe­tenz), sich ein be­grün­de­tes re­li­giö­ses Ur­teil bil­den und über die­ses in einen Dia­log tre­ten zu kön­nen (re­li­giö­se Kom­mu­ni­ka­ti­on, Ur­teil in re­li­giö­sen Fra­gen, In­ter­ak­ti­on, her­me­neu­tisch-kom­mu­ni­ka­ti­ve Kom­pe­tenz) und schließ­lich auch selbst an re­li­giö­sen For­men und Riten teil­neh­men und sie für sich ge­stal­ten zu kön­nen (re­li­giö­ses Aus­drucks­ver­hal­ten, le­bens­welt­li­che Ap­pli­ka­ti­ons­fä­hig­keit, Ge­stal­tungs­fä­hig­keit, Par­ti­zi­pa­ti­on, prak­ti­sche Kom­pe­tenz).
Allen Mo­del­len ist fer­ner ge­mein­sam, dass die re­li­giö­se Kom­pe­tenz viel­schich­tig ist und un­ter­schied­li­che Di­men­sio­nen auf­weist, die ins­ge­samt auf einen re­flek­tier­ten in­di­vi­du­el­len Um­gang mit dem Phä­no­men Re­li­gi­on zie­len. Diese ein­zel­nen Kom­pe­tenz­be­rei­che ste­hen dabei nicht iso­liert
ne­ben­ein­an­der son­dern be­din­gen sich ge­gen­sei­tig. Somit sind sie auch nicht iso­liert zu er­wer­ben, son­dern re­li­gi­ös kom­pe­tent ist der­je­ni­ge, der in allen Di­men­sio­nen glei­cher­ma­ßen kom­pe­tent ist, der also nicht nur über Kennt­nis­se ver­fügt, Re­li­gi­on wahr­neh­men und deu­ten kann, son­dern darü ber hin­aus auch eine ei­ge­ne be­grün­de­te re­li­giö­se Pra­xis ent­wi­ckeln kann (bzw. be­grün­det dar­auf ver­zich­tet). [18]


[3] zi­tiert nach: Hemel, Re­li­giö­se Kom­pe­tenz als Ziel des Re­li­gi­ons­un­ter­richts, S. 6.
[4] Vgl. Hemel, Re­li­giö­se Kom­pe­tenz als Ziel des Re­li­gi­ons­un­ter­richts, S. 6-8.
[5] Vgl. Mendl, Re­li­gi­ons­un­ter­richt in­sze­nie­ren und re­flek­tie­ren, S. 34.
[6] Vgl. Ni­k­lo­va u.a., Das Ber­li­ner Mo­dell re­li­giö­ser Kom­pe­tenz, S. 72ff.
[7] Vgl. Mendl, Re­li­gi­ons­un­ter­richt in­sze­nie­ren und re­flek­tie­ren, S. 33.
[8] Vgl. Eng­lert, Bil­dungs­stan­dards für Re­li­gi­on, S. 20.
[9] Vgl. Sajak, in: Mi­ch­al­ke-Leicht, Kom­pe­tenz­ori­en­tiert un­ter­rich­ten, S. 43.
[10] http://​www.​uni-​koeln.​de/​phil-​fak/​fs-​kath-​theo­lo­gie/​db78.​pdf
[11] Prof. Georg Gnandt, Frei­burg, Im­pul­se zu einem (auch) kom­pe­tenz­ori­en­tier­ten Re­li­gi­ons­un­ter­richt
[12] EPA ka­tho­li­sche Re­li­gi­ons­leh­re, S. 7-8.
[13] Fi­scher, El­sen­bastr: Grund­le­gen­de Kom­pe­tenz re­li­giö­ser Bil­dung
[14] Eine um­fang­rei­che Dar­le­gung der ein­zel­nen Kom­pe­ten­zen des Mo­dells des Co­me­ni­us In­sti­tuts fin­det man in:
www.​rel​igio​nsun​terr​icht-​pfalz.​de/​fi­lead­min/​user_​upload/​ru-​pfalz/​bi­blio­thek/​texte/​arb​eits​hilf​e_​kom​pete​nzor​ient​ieru​ng.​pdf
[15] Hel­bing, Wo bleibt das Sub­jekt in den Kom­pe­tenz­mo­del­len, S. 291.
[16] Hel­bing, Wo bleibt das Sub­jekt in den Kom­pe­tenz­mo­del­len, S. 294-295.
[17] Scham­beck, Was be­deu­tet, „re­li­gi­ös kom­pe­tent“ zu sein?, S.135.
[18] Vgl. Scham­beck, Was be­deu­tet, „re­li­gi­ös kom­pe­tent“ zu sein?, S. 134.

 

Was ist kom­pe­tenz­ori­en­tier­ter Re­li­gi­ons­un­ter­richt?: Her­un­ter­la­den [pdf] [779 KB]