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Die Got­tes­fra­ge im Kon­text der Leid­pro­ble­ma­tik

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Diese Seite ist Teil einer Ma­te­ria­li­en­samm­lung zum Bil­dungs­plan 2004: Grund­la­gen der Kom­pe­tenz­ori­en­tie­rung. Bitte be­ach­ten Sie, dass der Bil­dungs­plan fort­ge­schrie­ben wurde.

M2.2 Die Er­fah­rung des Leids und der Glau­be an Gott

Das Erd­be­ben von Lis­sa­bon im Jahr 1755 mit Zehn­tau­sen­den von Toten, die Er­mor­dung von sechs Mil­lio­nen Juden durch das Na­zi­re­gime, Hi­ro­shi­ma 1945, der Tsu­na­mi in Süd­ost­asi­en am zwei­ten Weih­nachts­fei­er­tag 2004, Fu­kus­hi­ma 2011, aber auch die große Zahl miss­brauch­ter und er­mor­der­ter Kin­der oder un­zäh­li­ge Men­schen, deren Leben im Krieg, durch Hun­ger oder im Stra­ßen­ver­kehr ge­walt­sam be­en­det wurde, all diese Vor­komm­nis­se sind nur ei­ni­ge we­ni­ge Bei­spie­le aus der un­end­lich lan­gen Liste der Lei­den­s­er­fah­run­gen der Mensch­heit. Un­glück, Lei­den, Ster­ben und Tod sind schon immer mit dem Leben we­sent­lich ver­bun­den, auch in der Tier­welt. In der Evo­lu­ti­on führt das Prin­zip des Fres­sens und Ge­fres­sen­wer­dens zu un­vor­stell­ba­ren Grau­sam­kei­ten und Bru­ta­li­tä­ten.

Alle diese Er­fah­run­gen las­sen gläu­bi­ge Chris­ten die Frage stel­len: Warum lässt ein guter und all­mäch­ti­ger Gott das zu? Warum ver­hin­dert der Schöp­fer, der alles gut ge­schaf­fen hat, wie es in der Schöp­fungs­er­zäh­lung Gen 1 heißt, nicht die Übel, das Böse und das Leid in der Welt? In un­zäh­li­gen Ge­be­ten wen­den sich die Men­schen an Gott und bit­ten ihn um Schutz und Hilfe und doch haben viele das Ge­fühl, dass sie dar­auf keine Ant­wort er­hal­ten und von Gott im Stich ge­las­sen wer­den. Denn wenn Gott der All­gü­ti­ge ist, will er das Leid ver­hin­dern, und wenn er der All­mäch­ti­ge ist, kann er dies auch. Warum aber gibt es trotz­dem so viel Leid in der Welt?

Im Laufe der Ge­schich­te gab es immer wie­der Ver­su­che, die Er­fah­rung des Leids und den Glau­ben an Gott mit­ein­an­der in Ein­klang zu brin­gen. Alle diese Ver­su­che be­zeich­net man als „Theo­di­zee“, als „Recht­fer­ti­gung Got­tes“ an­ge­sichts des Leids in der Welt. Sie fra­gen da­nach, wel­che Bil­der wir uns von Gott ma­chen und warum Gott das Leid zu­las­sen könn­te.

Zu­nächst wird immer wie­der be­tont, dass es viel „haus­ge­mach­tes“ Leid gibt, also vom Men­schen ver­ur­sach­tes Leid, für das Gott nicht ver­ant­wort­lich ge­macht wer­den darf. Hier muss sich der Mensch selbst einen Spie­gel vor­hal­ten und Re­chen­schaft für sein Han­deln ab­le­gen. Das Böse, das er tut, ent­springt sei­ner Frei­heit, in der auch seine Ver­ant­wor­tung be­grün­det ist. Hätte der Mensch nicht die Mög­lich­keit, sich frei zu ent­schei­den, zu wäh­len zwi­schen Gut und Böse, wäre er nur eine Ma­rio­net­te und ihm fehl­te eine ent­schei­den­de Fä­hig­keit, die ge­ra­de sein Mensch­sein aus­macht.

Also ist der Mensch meist selbst schuld an sei­nem Leid? So ein­fach lässt sich die Frage nach Gott nicht ab­wei­sen. Denn an­ge­sichts bru­tals­ter Ver­bre­chen und furcht­ba­ren, vom Men­schen ver­ur­sach­ten Leids kann man fra­gen, warum Gott nicht mehr an die Opfer denkt. Was nützt die Frei­heit als hohes Gut, wenn sie zum Schlimms­ten miss­braucht wird. Was ist ei­gent­lich wich­ti­ger: Die Frei­heit der Täter zum Bösen oder das Wohl und das kost­ba­re Leben der Be­trof­fe­nen? Müss­te Gott nicht den Men­schen so schaf­fen, dass er zu die­sen in der Ge­schich­te nach­ge­wie­se­nen Gräu­el­ta­ten gar nicht fähig ist?

Aber auch im nächs­ten Ge­dan­ken­gang ist Gott „nicht aus dem Spiel“. Es gibt ver­hee­ren­de Na­tur­ka­ta­stro­phen und an­de­res Un­glück, wofür der Mensch nichts kann. Das dar­aus re­sul­tie­ren­de Leid lässt sich nicht auf den Men­schen ab­wäl­zen, son­dern führt zu der Frage nach dem Schöp­fer aller Wirk­lich­keit. Wie sind denn die Welt und das Leben kon­stru­iert, dass es so viel Un­glück geben kann? Ist der Schöp­fungs­plan evtl. nicht op­ti­mal ge­stal­tet? Aber ein Gott, der im Credo an­ge­spro­chen wird mit „Ich glau­be an Gott, den Vater, den All­mäch­ti­gen, den Schöp­fer des Him­mels und der Erde“ und der, wie ihn vor allem Jesus ver­kün­dig­te, die Liebe schlecht­hin ist, wird der nicht dafür sor­gen, dass der Mensch, Got­tes Ab­bild, ein „Leben in Fülle“, in Glück und men­schen­wür­di­gen Ver­hält­nis­sen füh­ren kann?

Alles Über­le­gen, alles theo­re­ti­sche Phi­lo­so­phie­ren scheint zu kei­nem be­frie­di­gen­den Er­geb­nis zu füh­ren. Die Er­fah­rung des Leids und der Glau­be an Gott schei­nen in einer Span­nung zu­ein­an­der zu ste­hen, die mit dem Ver­stand nicht auf­ge­löst wer­den kann.

Und doch haben die Men­schen immer wie­der Ant­wor­ten ge­ge­ben, so auch die Bibel im Buch Ijob, in dem die Pro­ble­ma­tik der Theo­di­zee ver­han­delt wird. In einer Rah­men­er­zäh­lung wird dar­ge­stellt, wie es zu einer Wette zwi­schen Jahwe und Satan kommt. Die­ser be­haup­tet, der got­tes­fürch­ti­ge und tief gläu­bi­ge Ijob wird sich von Gott ab­wen­den, wenn ihm alles ge­nom­men wird: Sein Ver­mö­gen, seine Kin­der, seine Ge­sund­heit. Ijob ver­liert alles, hält aber, ob­wohl er mit zu­neh­men­dem Ver­lauf der Er­eig­nis­se mit Gott zu ha­dern be­ginnt, letzt­lich an sei­nem Glau­ben fest. Trotz der schreck­lichs­ten Prü­fun­gen ent­schei­det er sich nicht gegen den Schöp­fer, wie es ihm Satan un­ter­stellt hat. Sein Lei­den führt ihn zu hef­tigs­ter Klage bis hin zur An­kla­ge Got­tes, aber am Ende ge­winnt er die Ein­sicht, dass er die Größe der Schöp­fung Got­tes und damit Got­tes Größe nicht er­fas­sen, son­dern nur ak­zep­tie­ren kann. Jahwe prä­sen­tiert Ijob keine schlüs­si­ge Ant­wort auf die Frage nach dem Sinn des Leids, son­dern gibt ihm in 30 rhe­to­ri­schen Fra­gen Denk­an­stö­ße, an deren Ende der lei­den­de Ijob er­ken­nen muss: Letzt­lich steht es mir als be­grenz­tem Men­schen nicht zu, Gott und sein Han­deln in der Schöp­fung kri­tisch zu be­ur­tei­len. Hin­ter das Ge­heim­nis des gött­li­chen Wel­ten­plans kann er nicht kom­men.
Als Be­loh­nung für sein Fest­hal­ten an Gott er­hält Ijob am Ende das Dop­pel­te zu­rück.

In­ter­es­sant sind nun die Ant­wor­ten, die die Freun­de Ijobs parat haben, um das Leid zu er­klä­ren. Neben der Aus­gangs­fra­ge, in­wie­fern Leid eine Prü­fung Got­tes für den Gläu­bi­gen dar­stellt, füh­ren sie wei­te­re drei Va­ri­an­ten an. Der eine sagt, das Leid sei eine Folge der Sünde und somit eine Be­stra­fung für alle Ver­feh­lun­gen. Der an­de­re weist dar­auf hin, das Leid könne eine Art Er­zie­hungs­maß­nah­me Got­tes sein, damit der Mensch sein Ver­hal­ten än­de­re. Der drit­te meint, Gott wisse schon, wofür das Leid gut sei, auch wenn es der Mensch nicht be­grei­fe. Er solle sich sei­nem un­be­greif­li­chen Rat­schluss fügen.

Alle diese Ant­wor­ten wer­den im Buch Ijob so­wohl von Ijob selbst als auch von Jahwe zu­rück­ge­wie­sen. Sie wür­den der Wahr­heit nicht ge­recht und zeich­ne­ten ein merk­wür­di­ges Got­tes­bild.

Also keine über­zeu­gen­de Ant­wort aus dem Buch Ijob? Im Neuen Tes­ta­ment be­kommt die Theo­di­ze­e­fra­ge eine neue Dring­lich­keit in Jesu Schick­sal. Die Evan­ge­lis­ten Mar­kus und Mat­thä­us las­sen Jesus am Kreuz in einem Auf­schrei die Worte aus Psalm 22 aus­ru­fen: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich ver­las­sen?“ Auch in Jesu Wor­ten ar­ti­ku­lie­ren sich die Schreie der lei­den­den Men­schen. Und doch be­deu­tet ge­ra­de Jesu Schick­sal am Kreuz für viele Gläu­bi­ge ein Hoff­nungs­schim­mer, weil sich hier sogar Gott selbst, und zwar in sei­nem Sohn, mit dem Lei­den iden­ti­fi­ziert. Jesus hatte immer eine in­ten­si­ve Nähe zu Gott, sei­nem Vater. Sein Leben, seine Bot­schaft vom Kom­men des Rei­ches Got­tes und sein Han­deln ruhen auf der tiefs­ten Über­zeu­gung, dass Gott trotz aller Un­be­greif­lich­keit und er­leb­ten Ab­we­sen­heit letzt­lich die Liebe ist, die den Tod über­win­det und ein neues Leben er­mög­licht. Die Kreu­zi­gung Jesu ist somit nach christ­li­chem Glau­ben nicht das Ende, son­dern wird auf­ge­ho­ben in der Auf­er­we­ckung durch Gott.

Im Leben und in der Ge­stalt Jesu fin­den nicht we­ni­ge Men­schen einen An­satz­punkt für eine Ant­wort auf die Theo­di­ze­e­fra­ge, und zwar in zwei­er­lei Hin­sicht: Ein­mal sind sie über­zeugt, dass Gott nicht ein­fach „von oben“ in die Wirk­lich­keit ein­greift, son­dern durch Men­schen han­delt, durch Men­schen, die ihm zu­tiefst ver­trau­en und vom Geist der Liebe er­grif­fen sind und diese Liebe in Taten um­set­zen. Zum Zwei­ten glau­ben sie daran, dass es eine letz­te Ge­rech­tig­keit - wenn schon nicht in die­ser Welt - im jen­sei­ti­gen Leben durch Gott geben kann. Das Leid, das ein un­ab­än­der­li­cher Be­stand­teil der Schöp­fung ist, ist nach christ­li­cher Hoff­nung im Leben nach dem Tod über­wun­den, wie es im letz­ten Buch des Neuen Tes­ta­ments, der Of­fen­ba­rung des Jo­han­nes, steht: „Er wird alle Trä­nen von ihren Augen ab­wi­schen: Der Tod wird nicht mehr sein, keine Trau­er, keine Klage, keine Müh­sal. Denn was frü­her war, ist ver­gan­gen.“ (Offb 21, 4).

So lässt sich fest­hal­ten: Das Ver­hält­nis zwi­schen der Wirk­lich­keit Got­tes und der Er­fah­rung des Leids lässt sich nicht lo­gisch, vom Kopf her, be­grei­fen. Es bleibt für den den­ken­den Men­schen ein Rät­sel. Aber die Pro­ble­ma­tik des Leids lässt sich viel­leicht im Ver­trau­en auf einen lie­ben­den und men­schen­freund­li­chen Gott bes­ser aus­hal­ten und be­wäl­ti­gen.

Auf­ga­ben

  1. Ent­werft in Grup­pen ein Sche­ma, in das der Aus­gangs­punkt für die Theo­di­ze­e­fra­ge und mög­li­che pro­ble­ma­ti­sche bzw. ernst­zu­neh­men­de Ant­wort­ver­su­che auf­ge­nom­men sind. Un­ter­sucht und un­ter­schei­det dabei auch die im Text an­ge­deu­te­ten Got­tes­bil­der.

  2. For­mu­liert – z.B. für einen Trau­er­got­tes­dienst – einen Dia­log, wie er sich aus der Per­spek­ti­ve heu­ti­ger Men­schen zwi­schen Ijob und sei­ner Frau ent­wi­ckeln könn­te. Nehmt als Aus­gangs­punkt die Verse von Ijob 2,9 f.

  3. Ana­ly­siert an­hand von Psalm 22 die Struk­tur und den In­halt der bi­bli­schen Ge­bets­gat­tung der Kla­ge­psal­men. Ver­knüpft diese Auf­ga­be mit der LPE „Bibel ver­ste­hen“.

 

Die Got­tes­fra­ge im Kon­text der Leid­pro­ble­ma­tik: Her­un­ter­la­den [doc] [35 KB]

Die Got­tes­fra­ge im Kon­text der Leid­pro­ble­ma­tik: Her­un­ter­la­den [pdf] [78 KB]