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Lamya Kad­dor

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Diese Seite ist Teil einer Ma­te­ria­li­en­samm­lung zum Bil­dungs­plan 2004: Grund­la­gen der Kom­pe­tenz­ori­en­tie­rung. Bitte be­ach­ten Sie, dass der Bil­dungs­plan fort­ge­schrie­ben wurde.

M5.1 Lamya Kad­dor: „An was für einen Gott glau­ben wir ei­gent­lich?“

Ich war seit ei­ni­ger Zeit in der Küche be­schäf­tigt und saß in einer wohl­rie­chen­den Dunst­wol­ke aus Kreuz­küm­mel, Zwie­bel und Zi­tro­ne, die aus der vor sich hin­kö­cheln­den Lin­sen­sup­pe auf­stieg. … Ich war sieb­zehn … In der Wer­be­pau­se zwi­schen Maggi mit halal-Zu­be­rei­tung extra für Mus­li­me und Voll­wasch­mit­tel er­griff ich die Chan­ce. … Un­se­re Mut­ter war – neben un­se­rem Vater – die ein­zi­ge Per­son, an die wir uns als mus­li­mi­sche Kin­der in Sa­chen Re­li­gi­on wen­den konn­ten. „Mama, an was für einen Gott glau­ben wir ei­gent­lich? Was sind das für an­geb­lich so große Un­ter­schie­de, die wir ge­gen­über Juden und Chris­ten haben?“ Auch dies­mal fiel die Ant­wort klar aus: „Wir glau­ben nur an einen ein­zi­gen Gott und Mu­ham­mad ist SEIN Die­ner und Ge­sand­ter.“ Hm. Na, das weiß ich doch, dach­te ich. Da ich wei­ter mit der Pe­ter­si­lie zu kämp­fen hatte, die über­haupt nicht we­ni­ger wer­den woll­te, ris­kier­te ich einen Ein­wand: „Aber die Juden und Chris­ten glau­ben doch auch nur an einen ein­zi­gen Gott.“ Sicht­lich ge­nervt von mei­ner Frage und mei­ner Rück­fra­ge, die sie pro­vo­zier­te, setz­te sie sich an den Tisch und muss­te erst ein­mal eine Zi­ga­ret­te an­zün­den. Sie sagte in si­che­rem Ton: „Ja, schon, aber sie haben Teile ihrer Schrift ver­fälscht – je­den­falls steht es so im Koran. Au­ßer­dem glau­ben die Chris­ten, dass Jesus der Sohn Got­tes ist.“ Ich stand auf und öff­ne­te das Fens­ter, weil der Zi­ga­ret­ten­qualm den le­cke­ren Ge­ruch der Lin­sen­sup­pe über­la­gert hatte. Ich schau­te aus dem Fens­ter und for­der­te sie noch ein­mal her­aus: „Ja, aber ist der Gott des­halb ein an­de­rer? Und selbst wenn ihre Schrif­ten an­ders sind, wo liegt denn das Pro­blem? Woher wis­sen wir ei­gent­lich, dass wir und nicht sie recht haben? Nur weil an­de­re an­de­res glau­ben, heißt das doch nicht, dass wir was Bes­se­res sind, oder?“ Das war eine Steil­vor­la­ge für meine Mut­ter, die sie ge­konnt an­zu­neh­men und zu ver­wan­deln wuss­te: „Genau so ist es. Jeder darf glau­ben, was er will. Bevor man mit dem Fin­ger auf An­de­re zeigt, soll­te man sich zu­erst an der ei­ge­nen Nase pa­cken und fra­gen, ob man sich selbst an den ei­ge­nen Glau­ben hält – nicht wahr, Lamya?!“ Ich starr­te auf die To­ma­ten vor mir, die auch noch alle ge­schnip­pelt wer­den muss­ten. Ir­gend­wie fühl­te ich Scham in mir auf­stei­gen und dach­te, dass ich jetzt wohl ge­nau­so rot wie die To­ma­ten aus­sah. Ich stand ir­gend­wie blöd da, denn ich war für meine Fa­mi­lie nicht nur als der ewige Quäl­geist ent­tarnt, son­dern es wurde auch auf meine Kos­ten die Mo­ral­keu­le ge­schwun­gen. Ich soll­te also erst mal mei­nen ei­ge­nen Glau­ben rich­tig prak­ti­zie­ren, bevor ich ihn in­fra­ge stell­te und auf die an­de­ren Re­li­gio­nen schau­te.

(Aus: Kad­dor, Lamya: Mus­li­misch – weib­lich – deutsch! Mein Weg zu einem zeit­ge­mä­ßen Islam. Mün­chen 2010, S. 114-116)

 

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