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An­for­de­rungs­si­tua­tio­nen

In­fo­box

Diese Seite ist Teil einer Ma­te­ria­li­en­samm­lung zum Bil­dungs­plan 2004: Grund­la­gen der Kom­pe­tenz­ori­en­tie­rung. Bitte be­ach­ten Sie, dass der Bil­dungs­plan fort­ge­schrie­ben wurde.

Grund­sätz­lich gibt es für die Ge­stal­tung von An­for­de­rungs­si­tua­tio­nen zwei mög­li­che Aus­gangs­punk­te:
Sie kön­nen aus dem po­li­ti­schen Ta­ges­ge­sche­hen, aus den Me­di­en oder aus der Le­bens­welt der Schü­le­rin­nen und Schü­ler stam­men (z.B. Streit um die Mo­ham­med­ka­ri­ka­tu­ren, Tod Bin La­dens, Bau einer Mo­schee am Schul­ort) oder aber – aus­ge­hend von einem oder meh­re­ren Stan­dards –
von der Lehr­kraft selbst er­stellt wer­den, z.B. in einer fik­ti­ven Si­tua­ti­on. Für beide For­men von An­for­de­rungs­si­tua­tio­nen sol­len hier Bei­spie­le ge­nannt wer­den.

Eine An­for­de­rungs­si­tua­ti­on aus den Me­di­en

Lern­an­lass: Ein Mör­der, der nach Stra­fe sucht …

Kurz­zu­sam­men­fas­sung:

Adol­fo Fran­cis­co Sci­lin­go war ein hoch­ran­gi­ger Mi­li­tär der Es­cue­la de Me­ca­ni­ca, eines be­rüch­tig­ten Fol­ter­zen­trums. Wäh­rend der Mi­li­tär­dik­ta­tur in Ar­gen­ti­ni­en (1976-1983) war er als Ma­ri­ne­of­fi­zier an Fol­te­run­gen und vor allem auch an den so­ge­nann­ten „vue­los“ be­tei­ligt, To­des­flü­gen, bei denen be­wusst­lo­se Ge­fan­ge­ne ins Meer ge­wor­fen wur­den. Be­reits un­mit­tel­bar nach dem Ende der Mi­li­tär­dik­ta­tur kämp­fe er für die Auf­ar­bei­tung der Ver­bre­chen – ohne Er­folg. An­fang der Neun­zi­ger Jahre be­gann Sci­lin­go seine Ver­bre­chen öf­fent­lich zu ma­chen, indem er sich an den Chef einer gro­ßen Ta­ges­zei­tung wand­te, der seine Ge­ständ­nis­se 1995 als Buch [198] ver­öf­fent­lich­te. In der Folge wurde er wegen eines an­geb­li­chen Scheck­ver­bre­chens ver­haf­tet, stell­te sich dann nach sei­ner Ent­las­sung 1997 der spa­ni­schen Jus­tiz, von der er 2007 letzt­in­stanz­lich zu ins­ge­samt 1084 Jah­ren Ge­fäng­nis wegen schwe­rer Ver­bre­chen gegen die Mensch­heit ver­ur­teilt wurde.

Dar­aus ab­ge­lei­te­te An­for­de­rungs­si­tua­ti­on:

Bei der Re­cher­che für eine Prä­sen­ta­ti­on im Spa­nisch­un­ter­richt über die ar­gen­ti­ni­sche Dik­ta­tur stößt du auf ge­mein­sam mit einem Freund/ einer Freun­din auf die­sen alten Spie­gel­ar­ti­kel (http://​www.​spie­gel.​de/​spie­gel/​print/​d-​8810398.​html) über die Le­bens­ge­schich­te des Ma­ri­ne­of­fi­ziers Adol­fo Fran­cis­co Sci­lin­go. Dein/e Freund/in kann das Ver­hal­ten Sci­lin­gos nicht ver­ste­hen – ei­gent­lich soll­te er doch froh und er­leich­tert sein, dass er ohne Stra­fe da­von­kommt – wer geht schon gerne ins Ge­fäng­nis? Wie man sich selbst an­zei­gen kann, scheint ihm/ihr ein Rät­sel zu sein. Ihr dis­ku­tiert lange über die­sen Mann und du fragst dich, wie man seine wie­der­hol­ten Ver­su­che der Selbst­an­zei­ge, seine Sehn­sucht nach einem Pro­zess er­klä­ren kann

Zwei fik­ti­ve An­for­de­rungs­si­tua­tio­nen

Ein un­ge­tauf­ter Junge in einer ka­tho­li­schen Fa­mi­lie (Kl. 5/6)

Max lebt in Mag­de­burg und be­sucht dort die fünf­te Klas­se. Weder er noch seine El­tern sind ge­tauft, er hat noch nie den Re­li­gi­ons­un­ter­richt be­sucht und hat auch nur we­ni­ge Kir­chen be­sich­tigt. Nie­mand in sei­ner Fa­mi­lie in­ter­es­siert sich für Re­li­gi­on und Kir­che. Dies ist in den neuen Bun­des­län­dern
keine Sel­ten­heit, da die Re­li­gi­ons­aus­übung zu DDR-Zei­ten von der Re­gie­rung be­hin­dert wurde.
An­fang Sep­tem­ber er­krankt die Mut­ter von Max schwer und muss für meh­re­re Mo­na­te in eine Kli­nik – vor­aus­sicht­lich bis zum Ende des Schul­jahrs. Da der Vater viel be­ruf­lich un­ter­wegs ist und in Mag­de­burg keine wei­te­ren Ver­wand­ten leben, er­klärt sich die Cou­si­ne der Mut­ter aus Ober­schwa­ben spon­tan be­reit, Max für das ganze Schul­jahr – und wenn nötig auch län­ger - in ihre Fa­mi­lie auf­zu­neh­men, zumal ihr Sohn Leon genau gleich alt ist und die bei­den Jun­gen sich auf Fa­mi­li­en­fes­ten immer sehr gut ver­stan­den haben.
Max kommt also in die ober­schwä­bi­sche Klein­stadt Ho­hen­stet­ten [199] und nimmt dort am Leben von Leons Fa­mi­lie teil. Mit Leon ver­steht er sich super, in der Schu­le läuft es auch gut. Aber: Die Fa­mi­lie ist sehr re­li­gi­ös, sehr aktiv in der Kir­chen­ge­mein­de. Leon ist Mi­nis­trant, man be­sucht re­gel­mä­ßig den Sonn­tags­got­tes­dienst, betet am Tisch und abends, fei­ert die Feste des Kir­chen­jah­res, ge­stal­tet Ad­vent und Fas­ten­zeit be­wusst. Leon hat na­tür­lich eine Kin­der­bi­bel, und ein Ge­bet­buch, in sei­nem Zim­mer hängt das Bild sei­nes Na­mens­pa­trons und das Kreuz, das er zur Kom­mu­ni­on be­kom­men hat. Max ist zu­nächst ein wenig über­rascht, aber er in­ter­es­siert sich für die Re­li­gi­on sei­nes Groß­cou­sins und sei­ner Fa­mi­lie und möch­te so in dem Jahr Grund­la­gen der christ­li­chen Re­li­gi­on ken­nen ler­nen.

Du über­nimmst die Rolle von Leon und er­läu­terst Max im Laufe des Schul­jah­res, das er bei dir ver­bringt, die Be­deu­tung von christ­li­chen Fes­ten, von Got­tes­diens­ten – und ver­mit­telst ihm Grund­kennt­nis­se über den christ­li­chen Glau­ben. [200]

Ein jun­ger Hindu in Deutsch­land (Kl. 5/6)

„Der 12 jäh­ri­ge Chen­na stammt aus In­di­en und ist seit einem Jahr in Deutsch­land. Er kam mit sei­ner Mut­ter und sei­nem Vater, einem In­for­ma­ti­ker, hier­her und geht ins Gym­na­si­um. Er spricht per­fekt Eng­lisch und hat in kür­zes­ter Zeit Deutsch ge­lernt. Alle be­wun­dern ihn des­halb. Chen­na ist Hindu. Eines Tages geht er auf einen sei­ner Mit­schü­ler/innen zu und sagt:
„Eines ver­ste­he ich nicht so ganz. Wenn im Ka­len­der Weih­nach­ten steht, kauft ihr grüne Bäume, stellt sie in eure Woh­nung, stellt klei­ne Fi­gu­ren dar­un­ter und macht euch Ge­schen­ke und am Kar­frei­tag schlie­ßen die Ge­schäf­te, Fuß­ball­ver­ei­ne dür­fen nicht spie­len und die Kinos haben ge­schlos­sen. An Os­tern su­chen Kin­der im Gar­ten lus­tig be­mal­te Eier und an Pfings­ten habe ich vor ei­ni­gen Häu­sern, zu denen ihr Kir­che sagt, grüne Bir­ken ge­se­hen.
Was macht ihr da ei­gent­lich?
Was steckt da da­hin­ter?“

Wie könn­te eure Ant­wort lau­ten?“ [201]

Eine pro­jek­t­ori­en­tier­te An­for­de­rungs­si­tua­ti­on

Wir er­stel­len einen Kir­chen­füh­rer der Kir­chen vor Ort für Kin­der (5/6)

Die ka­tho­li­sche und die evan­ge­li­sche Kir­che am Schul­ort wol­len einen Kir­chen­füh­rer für Kin­der her­aus­ge­ben, der nicht nur die Bau­ten son­dern auch die Glau­bens­pra­xis der je­wei­li­gen Kon­fes­si­on mit Bil­dern er­läu­tert.

Er­stellt in klei­nen Grup­pen diese Kir­chen­füh­rer, in denen ihr die Kir­chen und die Got­tes­diens­te kind­ge­recht er­klärt. [202]

Kri­te­ri­en zur Be­ur­tei­lung der Qua­li­tät von An­for­de­rungs­si­tua­tio­nen

  • Au­then­ti­zi­tät:
    • Han­delt es sich um eine au­then­ti­sche bzw. An­for­de­rungs­si­tua­ti­on?
    • (falls die An­for­de­rungs­si­tua­ti­on von der Lehr­kraft er­stellt wird): Ist die An­for­de­rungs­si­tua­ti­on rea­listsch? Könn­te sie so (oder ähn­lich) pas­sie­ren? Oder spürt man, dass es sich um eine „di­dak­ti­sier­te“ Si­tua­ti­on han­delt?
  • Nähe zur Le­bens­welt der Schü­le­rin­nen und Schü­ler:
    • Ent­stammt die Si­tua­ti­on der Le­ben­welt der Schü­le­rin­nen und Schü­ler bzw. ist sie für sie nach­voll­zieh­bar?
    • Ent­spricht sie re­gio­na­len Ge­ge­ben­hei­ten?
  • Ex­em­pla­ri­scher Cha­rak­ter:
    • Sind die aus der An­for­de­rungs­si­tua­ti­on sich er­ge­ben­den Fra­ge­stel­lun­gen ex­em­pla­risch?
    • Las­sen sich an die­ser An­for­de­rungs­si­tua­ti­on Kom­pe­ten­zen er­wer­ben bzw. schu­len, die auch für an­de­re (reale) An­for­de­rungs­si­tua­tio­nen be­nö­tigt wer­den?
  • Re­le­vanz:
    • Ist die An­for­de­rungs­si­tua­ti­on und die sich dar­aus er­ge­ben­de Fra­ge­stel­lung für die Schü­le­rin­nen und Schü­ler re­le­vant und mo­ti­vie­rend?
  • Viel­schich­tig­keit:
    • Bie­tet die An­for­de­rungs­si­tua­ti­on viel­fäl­ti­ge Lern­mög­lich­kei­ten?
    • Bie­ten sich viel­fäl­ti­ge Lern­ge­gen­stän­de und Lern­we­ge an?
  • För­de­rung des ei­gen­ver­ant­wort­li­chen Ler­nens:
    • Er­ge­ben sich aus der An­for­de­rungs­si­tua­ti­on Lern­we­ge, die die Schü­le­rin­nen und Schü­ler selb­stän­dig und ei­gen­ver­ant­wort­lich gehen kön­nen?
  • För­de­rung un­ter­schied­li­cher Kom­pe­tenz­be­rei­che:
    • Las­sen sich in der Aus­ein­an­der­set­zung mit der An­for­de­rungs­si­tua­ti­on un­ter­schied­li­che Kom­pe­tenz­be­rei­che för­dern?


[198] Ho­r­a­cio Ver­bits­ky: El vuelo (Span) bzw. Con­fes­si­ons of an Ar­gen­ti­ne Dirty War­ri­or: A First­hand Ac­count of Atro­ci­ty (engl., lei­der nur auf Eng­lisch oder Spa­nisch er­hält­lich.)
[199] Ho­hen­stet­ten = fik­ti­ve schwä­bi­sche Klein­stadt, ir­gend­wo in Ober­schwa­ben …
[200] Quel­le: An­ge­li­ka Scholz
[201] Quel­le: Vor­trag Rupp, 18.2.2011, S. 4
[202] Quel­le: An­ge­li­ka Scholz

 

Was ist kom­pe­tenz­ori­en­tier­ter Re­li­gi­ons­un­ter­richt?: Her­un­ter­la­den [pdf] [650 KB]