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Binnendifferenzierung, Lernausgangslage und individuelle Förderung

Infobox

Diese Seite ist Teil einer Materialiensammlung zum Bildungsplan 2004: Grundlagen der Kompetenzorientierung. Bitte beachten Sie, dass der Bildungsplan fortgeschrieben wurde.

Lange ging man in der Unterrichtsplanung von einem „imaginären Durchschnittsschüler“, und damit von einer in Alter und Vorkenntnissen homogenen Lerngruppe [179] aus. Heutzutage weiß man, dass die Klassen und Kurse teilweise eine große Heterogenität in Alter [180] und Sozialisation ausweisen, so dass ein „einheitlicher Unterricht für alle“ fast nicht möglich ist. [181] Viel stärker als in anderen Fächern ist im Religionsunterricht die Prägung durch eine religiöse oder eher kirchendistanzierte Erziehung und Sozialisation von hoher Bedeutung: neben Schülerinnen und Schüler, die biblische Geschichten und kirchliche Glaubenspraxis selbstverständlich kennen und hierzu einen emotionalen Bezug haben, steht eine große Anzahl getaufter oder auch konfessionsloser Schülerinnen und Schüler, in deren Familien Glaube keine Rolle spielt und die daher weder über Grundkenntnisse verfügen noch einen emotionalen Zugang zu Religion haben.
Vor allem aber hat die Darstellung der Ergebnisse der neueren Lerntheorie deutlich gemacht, dass Lernen ein individueller Vorgang ist, der – schon allein aufgrund des Vorwissens und der vorhandenen individuellen Konstruktionen [182] - nicht bei allen Schülerinnen und Schülern gleichermaßen abläuft. [183] Hieraus ergibt sich auch, dass der Lernprozess nicht für alle gleich sein kann, sondern dass die Entwicklung von Kompetenzen ein individueller kumulativer Prozess ist, der von der jeweiligen Lehrkraft beobachtet und begleitet werden muss, der aber letztlich von den Schülerinnen und Schülern jeweils selbst verantwortet wird. [184] Matti Meri formuliert eindrücklich: „ Das ist das Entscheidende guten Unterrichts: Jeden Einzelnen zu betrachten. " [185] und man kann hinzufügen „und sie oder ihn für seinen eigenen Lernprozess verantwortlich, zum Experten für sein eigenes Lernen zu machen.“ [186] Jede Leistung, ob sie nun innerhalb eines Lernprozesses oder in einer Leistungsmessung erbracht wird, kann damit zum Ausgangspunkt für die Diagnose und die individuelle Förderung eines Schülers/ einer Schülerin werden. Somit gehören die Erhebung der individuellen Lernausgangslage, Binnendifferenzierung und individuelle Förderung konstitutiv zum Unterricht.

Für die konkrete Unterrichtsarbeit können sich nun folgende Konsequenzen ergeben:.
(1) Zu Beginn einer Unterrichtssequenz ist eine Lernstandserhebung von hoher Bedeutung. Hierbei sollte nicht nur Vorwissen abgefragt werden, sondern die Aufgabenstellung einer Lernstandserhebung sollte neben den kognitiven auch affektive Dimensionen berühren und damit die individuellen Konstruktionen der Schülerinnen und Schüler berücksichtigen. [187]
Die Interpretation der Äußerungen der Schülerinnen und Schüler erfordert von der Lehrkraft eine hohe Analysekompetenz, vor allem im Bereich der religiösen Kompetenz, z.B. bei der Analyse von Gottesbildern der Schülerinnen und Schüler. [188] Gleichzeitig sollten aber nicht nur die Lehrerinnen und Lehrer die Ergebnisse der Schülerinnen und Schüler interpretieren und daraus Konsequenzen ziehen, sondern die Ergebnisse sollten auch die Basis für eine gemeinsame Planung des Unterrichtsprozesses bilden, der die Fragen der Schülerinnen und Schüler zum Ausgangspunkt nehmen kann.
(2) Dieser gemeinsam geplante Unterricht sollte – nach Möglichkeit – Elemente der Binnendifferenzierung aufweisen. Dies kann z.B. durch die Bereitstellung unterschiedlicher Unterrichtsmaterialien und methodischer Impulse geschehen, durch Erarbeitung von Themenbereichen in Gruppen, die ihre Arbeit selbständig unter Berücksichtigung der Stärken und Schwächen der Gruppenmitglieder organisieren oder durch zusätzliche Aufgabenstellungen, die gezielt einzelne Schülerinnen und Schüler fördern. [189] Binnendifferenzierung geschieht aber auch dort, wo innerhalb einer Unterrichtssequenz unterschiedliche Zugänge zu einem Themenbereich geschaffen werden (z.B. durch Bild, durch Text, durch Musik) oder wo für die guten Schülerinnen und Schüler zusätzliche Aufgaben bereit gestellt werden.
(3) Ein dritter wichtiger Aspekt der Binnendifferenzierung ist die individuelle Förderung der Schülerinnen und Schüler in ihren jeweiligen Stärken und Schwächen, die die Lehrkraft aus schriftlichen Arbeiten, Unterrichtsbeiträgen oder aber auch aus der Lernstandserhebung ersehen kann.Ein systematisches Modell für die individuelle Lernbegleitung der Schülerinnen und Schüler stellt die Veröffentlichung des Landesinstituts für Schulentwicklung Lernen im Fokus der Kompetenzorientierung: Beobachten – Beschreiben – Bewerten – Begleiten vor. Es geht davon aus, dass die Förderung in vier Schritten erfolgen kann: die Leistungen der Schülerinnen und Schüler in allen Kompetenzbereichen werden zunächst vom Fachlehrer (evtl. auch in Kooperation mit seinem Kollegen) beobachtet [190] , dann z.B. anhand von vorliegenden Kompetenzrastern beschrieben , Defizite und Förderbedarf wird ermittelt, die Leistungen werden also bewertet und die weitere Kompetenzentwicklung wird individuell begleitet . [191]
Im Religionsunterricht zeigt sich häufig, dass die Schwächen und der Förderbedarf der Schülerinnen und Schüler neben spezifischen Mängeln in der religiösen Kompetenz (z.B. durch ein infantiles Gottesbild) auch fachübergreifende Kompetenzen betreffen (z.B. Umgang mit Texten, Arbeitsverhalten, Ausdruck in der Muttersprache). Daher ist eine individuelle Lernbegleitung in Kooperation mit anderen Fächern wünschenswert, indem zum Beispiel Kompetenzraster im Idealfall von den Lehrkräften affiner Fächer gemeinsam erstellt werden. Dies dürfte nicht nur die individuelle Förderung erleichtern sondern möglicherweise auch die Akzeptanz dieser Förderung im „Nebenfach“ Religion erhöhen.


[179] Vgl. LSE, Lernen im Fokus der Kompetenzorientierung: Beobachten – Beschreiben – Bewerten – Begleiten, S. 1, S. 10.
[180] Ein konkretes Beispiel aus der Kursstufe 1 im Schuljahr 2010/2011: Die ältesten Schüler sind bei Eintritt in die Kursstufe 1 neunzehn Jahre alt (Wiederholer aus Kl. 12), die jüngsten werden gegen Ende des Jahres 2010 sechzehn (auf Antrag eingeschulte Schülerinnen und Schüler aus Kl. 11)
[181] Vgl. Pirner, Heterogenität und Differenzierung, S. 6.
[182] Vgl. Rupp, Lernen und Differenzierung, S. 5.
[183] Vgl. Rupp, Lernen und Differenzierung, S. 5.
[184] Vgl. LSE, Lernen im Fokus der Kompetenzorientierung: Beobachten – Beschreiben – Bewerten – Begleiten, S. 2.
[185] zitiert nach: LSE, Lernen im Fokus der Kompetenzorientierung: Beobachten – Beschreiben – Bewerten – Begleiten, S. 11.
[186] Vgl. LSE, Lernen im Fokus der Kompetenzorientierung: Beobachten – Beschreiben – Bewerten – Begleiten, S. 19; S. 51.
[187] Vgl. Fischer, M. , Die Lernausgangslage im kompetenzorientierten Religionsunterricht, S. 2.
[188] Vgl. Fischer, D., Religiöse Kompetenz bei Schülerinnen und Schüler erkennen, S.7.
[189] Vgl. LSE, Lernen im Fokus der Kompetenzorientierung: Beobachten – Beschreiben – Bewerten – Begleiten, S. 7.
[190] Die gezielte Beobachtung dürfte im Religionsunterricht deutlich komplexer und schwieriger sein als in anderen Fächern. Feindt/ Lamprecht zeigen in ihrem Aufsatz Von Fußballfans und Fischen wie eine solche Diagnostik anhand von Lernaufgaben aussehen kann und weisen beispielsweise unterschiedliche Bearbeitungsstrategien der Aufgabe nach, auf die dann ein individuelles Lernangebot folgen kann (vgl. Feindt/ Lamprecht: Von Fußballfans und Fischen, S. 12-15)
[191] Vgl. Lernen im Fokus der Kompetenzorientierung: Beobachten – Beschreiben – Bewerten – Begleiten, S. 29-49.

 

Was ist kompetenzorientierter Religionsunterricht?: Herunterladen [pdf] [650 KB]