Zur Haupt­na­vi­ga­ti­on sprin­gen [Alt]+[0] Zum Sei­ten­in­halt sprin­gen [Alt]+[1]

Auf­bau­mo­del­le und Grund­wis­sen

In­fo­box

Diese Seite ist Teil einer Ma­te­ria­li­en­samm­lung zum Bil­dungs­plan 2004: Grund­la­gen der Kom­pe­tenz­ori­en­tie­rung. Bitte be­ach­ten Sie, dass der Bil­dungs­plan fort­ge­schrie­ben wurde.

Eine ganz nor­ma­le 10. Klas­se: In einer Un­ter­richts­se­quenz zum Thema Werte und Nor­men kommt man auf die Berg­pre­digt zu spre­chen. Die Lehr­kraft fragt, wer denn die Berg­pre­digt kenne … Schwei­gen. Ein Schü­ler er­in­nert sich an Mose: „Da war doch was auf dem Berg…“

Im kon­kre­ten Un­ter­richts­ge­sche­hen ma­chen Lehr­kräf­te und Schü­le­rin­nen und Schü­ler immer wie­der die Er­fah­rung, dass fach­li­che und me­tho­di­sche Kom­pe­ten­zen, die in den ver­gan­ge­nen Schul­jah­ren er­wor­ben wur­den, kaum oder nicht mehr ver­füg­bar sind. Die Er­he­bung der Lern­aus­gangs­la­ge zu Be­ginn einer Un­ter­richts­se­quenz zeigt häu­fig deut­lich, dass ein nach­hal­ti­ger Wis­sens­er­werb in der Schul­lauf­bahn nur in Ein­zel­fäl­len statt­fin­det und dass Grund­kennt­nis­se und Grund­fer­tig­kei­ten (wie z.B. das Auf­schla­gen einer Bi­bel­stel­le) nicht si­cher be­herrscht wer­den.

Doch worin lie­gen hier die Grün­de?
Das Fach Re­li­gi­on hat – wie viele an­de­re Fä­cher auch – in sei­ner Ge­schich­te und in der di­dak­ti­schen Re­fle­xi­on kaum eine Wie­der­ho­lungs­kul­tur ent­wi­ckelt, so dass Kennt­nis­se und Fer­tig­kei­ten aus den vor­her­ge­hen­den Jah­ren kaum noch vor­han­den sind. Fer­ner gibt es häu­fig Dif­fe­ren­zen zwi­schen den Leh­re­rin­nen und Leh­rern einer Schu­le über ver­bind­li­che In­hal­te und me­tho­di­sche Kom­pe­ten­zen. In der Pla­nung eines Schul­jah­res oder eines Stan­dard­zeit­raums wird der Re­li­gi­ons­un­ter­richt häu­fig als eine Art „Bach­bett­päd­ago­gik“ kon­zi­piert [135] , un­ter­schied­lichs­te Un­ter­richts­se­quen­zen fol­gen na­he­zu un­ver­bun­den auf­ein­an­der – man be­ginnt das Schul­jahr mit dem Bud­dhis­mus, dann folgt eine Un­ter­richts­se­quenz zu Wer­ten und Nor­men, und schließ­lich wird die Kir­che in der NS-Zeit be­han­delt. Die Vor­kennt­nis­se der Schü­le­rin­nen und Schü­ler aus frü­he­ren Jah­ren und aus ihrer So­zia­li­sa­ti­on wer­den bei die­ser Form der Un­ter­richts­pla­nung kaum in den Blick ge­nom­men [136] , eine Ver­knüp­fung der Un­ter­richts­se­quen­zen und eine Wie­der­ho­lung und Fes­ti­gung der er­wor­be­nen Fach­kom­pe­tenz fin­den nicht statt.
Dies hat meh­re­re Kon­se­quen­zen: Zum einen ver­fü­gen die Schü­le­rin­nen und Schü­ler durch die man­geln­de Wie­der­ho­lungs­kul­tur kaum über Grund­wis­sen zu grund­le­gen­den Fra­gen des Re­li­gi­ons­un­ter­richts, z.B. zu ihrer ei­ge­nen Re­li­gi­on oder zu den Welt­re­li­gio­nen. Auch ele­men­ta­re Bi­bel­stel­len sind in der Regel kaum be­kannt, häu­fig eher aus dem Erst­kom­mu­ni­onun­ter­richt oder der Kin­der­bi­bel als aus dem Re­li­gi­ons­un­ter­richt.
Dar­über hin­aus gibt es durch den man­geln­den Kon­sens zwi­schen den Re­li­gi­ons­leh­re­rin­nen und Re­li­gi­ons­leh­rern an einer Schu­le häu­fig kaum ver­bind­li­ches Wis­sen, das in allen Lern­grup­pen glei­cher­ma­ßen ver­mit­telt wird.
Schließ­lich ge­schieht durch die iso­lier­te Be­hand­lung ein­zel­ner The­men kaum ein auf­bau­en­des Ler­nen und damit kein sys­te­ma­ti­scher Kom­pe­tenz­auf­bau. Grund­le­gen­de Fer­tig­kei­ten (z.B. der Um­gang mit bi­bli­scher Sym­bol­spra­che) wer­den häu­fig nicht al­ters­ge­mäß ver­tieft und wei­ter­ent­wi­ckelt. Oft bleibt Wis­sen in den ein­zel­nen The­men­be­rei­chen iso­liert, wird nicht ver­netzt und dem je­wei­li­gen Ent­wick­lungs­stand ent­spre­chend ver­tieft, er­wei­tert und kri­tisch re­flek­tiert.
In der Dis­kus­si­on um den kom­pe­tenz­ori­en­tier­ten Re­li­gi­ons­un­ter­richt wird zu­wei­len gerne ein Ge­gen­satz zwi­schen Wis­sen und Kom­pe­tenz­ori­en­tie­rung kon­stru­iert: Kom­pe­ten­zen schei­nen wich­ti­ger als Wis­sen, die kon­kre­ten Un­ter­richts­ge­gen­stän­de er­schlie­ßen sich nur von den zu er­wer­ben­den Kom­pe­ten­zen. Dies ist je­doch nur schein­bar ein Ge­gen­satz: Wis­sen ohne Kom­pe­tenz ist trä­ges Wis­sen und damit nutz­los, Kom­pe­ten­zen ohne Wis­sen sind in­halts­leer und damit eben­falls nutz­los. Somit be­din­gen sich Wis­sen und Kom­pe­ten­zen ge­gen­sei­tig, Wis­sen macht die An­wen­dung von Kom­pe­ten­zen erst mög­lich und Kom­pe­ten­zen er­mög­li­chen erst den in­tel­li­gen­ten Um­gang mit dem er­wor­be­nen Wis­sen, ma­chen es für die Schü­le­rin­nen und Schü­ler le­bens­re­le­vant [137] .
Daher ist ein Kon­sens über zu ver­mit­teln­des Grund­wis­sen für einen kom­pe­tenz­ori­en­tier­ten Re­li­gi­ons­un­ter­richt un­er­läss­lich, denn nur mit­hil­fe eines sol­chen Wis­sens ist es mög­lich, über­haupt in Fra­gen der Re­li­gi­on zu kom­mu­ni­zie­ren, sich aus­zu­drü­cken und ur­tei­len zu kön­nen [138] . Für einen kom­pe­tenz­ori­en­tier­ten Re­li­gi­ons­un­ter­richt wäre also zu be­ach­ten, dass zum einen die­ser Kon­sens über grund­le­gen­des Wis­sen er­stellt und nach­hal­tig un­ter­rich­tet wird (Wie­der­ho­lungs­kul­tur), zum an­de­ren zen­tra­le Kom­pe­ten­zen über die ge­sam­te Schul­lauf­bahn al­ters­ge­mäß auf­ge­baut und er­wei­tert wer­den. Damit muss der Re­li­gi­ons­un­ter­richt nicht nur in grund­le­gen­den Fer­tig­kei­ten (wie z.B. dem Auf­schla­gen von Bi­bel­stel­len), son­dern auch im Be­reich des Fach­wis­sens (z.B. Grund­la­gen der Bot­schaft Jesu), der so­zia­len Kom­pe­tenz (z.B. Ar­beit im Team) und der Me­tho­dik (sach­ge­mä­ßes theo­lo­gi­sches Ar­gu­men­tie­ren) eine ge­wis­se Rou­ti­ne ver­mit­teln. [139]
Letzt­lich stellt sich hier­mit die Frage, was im Re­li­gi­ons­un­ter­richt auf jeden Fall ge­lernt wer­den muss, wel­ches Wis­sen un­ver­zicht­bar ist, damit sich eine re­li­giö­se Kom­pe­tenz über­haupt ent­wi­ckeln kann. [140]
Doch wel­che In­hal­te sind dies? Rupp plä­diert für einen Kon­sens dar­über, „was alle Schü­le­rin­nen und Schü­ler am Ende der Se­kun­dar­stu­fe I auf jeden Fall drauf­ha­ben sol­len“. [141] Diese „Ba­sics“ sind für ihn Kennt­nis­se und Ein­stel­lun­gen, die ein grund­le­gen­des Ver­ständ­nis des Chris­ten­tums und an­de­rer Re­li­gi­on er­mög­li­chen, für die ei­ge­ne Wahr­neh­mung von Selbst, Welt, Leben und bei der Be­wäl­ti­gung des All­tags sinn­voll und nütz­lich sind und die vor allem im Re­li­gi­ons­un­ter­richt auch er­wor­ben wer­den kön­nen. [142] Aus die­sen For­de­run­gen ent­wi­ckelt er im Be­reich der Kennt­nis­se 12 bi­bli­sche Ba­sis­the­men [143] , an­hand derer die Schü­le­rin­nen und Schü­ler Grund­la­gen des christ­li­chen Glau­bens ken­nen­ler­nen, die für die ei­ge­nen ele­men­ta­ren Le­bens­fra­gen eben­so von Be­deu­tung sind wie für das Ver­ständ­nis der christ­li­chen Kul­tur und den Dia­log zwi­schen den Welt­re­li­gio­nen. Eben­so soll­ten die Schü­le­rin­nen und Schü­ler Ba­sics aus dem Be­reich des kon­fes­sio­nell ge­präg­ten Glau­bens ken­nen wie z.B. das Kir­chen­jahr, ein­zel­ne Ge­be­te und Lie­der sowie ein Ver­ständ­nis von Kir­chen­räu­men [144] und hier­durch die Fä­hig­keit zur Par­ti­zi­pa­ti­on an re­li­giö­sen Hand­lun­gen er­wer­ben. Grund­le­gen­de, ba­sa­le Fä­hig­kei­ten sind für ihn bei­spiels­wei­se die Kom­pe­tenz, bi­bli­sche Texte in Grund­zü­gen aus­le­gen zu kön­nen.

Für die kon­zep­tio­nel­le Ar­beit in der Leh­rer­fort­bil­dung und in Fach­kon­fe­ren­zen wird es darum gehen, in den Bil­dungs­stan­dards 2004 „Auf­bau­mo­del­le“ zu ent­de­cken, die deut­lich ma­chen, wie in­ner­halb einer Di­men­si­on ein sys­te­ma­ti­scher Kom­pe­tenz­auf­bau in­ten­diert wird, im Rah­men des­sen auch eine Wie­der­ho­lungs- und Ver­tie­fungs­kul­tur ihren Platz haben kann. Dies wird je­doch da­durch er­schwert, dass der Bil­dungs­plan teil­wei­se – wie oben dar­ge­stellt - recht stark von den The­men­fel­dern aus­geht, d.h. ein auf­bau­en­des Ler­nen in die­ser Form nicht die ur­sprüng­li­che In­ten­ti­on war.

In der Un­ter­richts­ge­stal­tung ist dar­auf zu ach­ten, dass in­ner­halb eines Schul­jah­res, eines Stan­dard­zeit­raums und auch über die ganze Schul­lauf­bahn hin­weg auf­bau­en­des und ver­netz­tes Ler­nen statt­fin­det. Die Schü­le­rin­nen und Schü­ler sol­len – ähn­lich wie in einer Fremd­spra­che – ler­nen, die „Spra­che der jü­disch-christ­li­chen Re­li­gi­on“ mit ihren Denk- und Deu­tungs­mo­del­len immer bes­ser zu ver­ste­hen und selbst an­zu­wen­den. [145] Dies könn­te zum einen durch sys­te­ma­ti­sche Wie­der­ho­lung und Fes­ti­gung von grund­le­gen­den Kom­pe­ten­zen, durch zen­tra­le Jahr­gangs­the­men im Schul­cur­ri­cu­lum (ähn­lich wie im Bil­dungs­plan 1994), durch Leit­mo­ti­ve in­ner­halb eines Jahr­gangs, durch Trans­fer von zu frü­he­ren Mo­men­ten im Schul­jahr Ge­lern­tem in der neuen Si­tua­ti­on, durch zen­tra­le Me­di­en, die immer wie­der auf­ge­grif­fen wer­den oder auch durch einen Ad­van­ce Or­ga­ni­zer für das ge­sam­te Schul­jahr ge­sche­hen. [146],[147],[148]


[135] Vgl. Rupp, Vor­trag in Stutt­gart, 17.9.2010. S. 17.
[136] Vgl. Fi­scher, M. , Die Lern­aus­gangs­la­ge im kom­pe­tenz­ori­en­tier­ten Re­li­gi­ons­un­ter­richt, S. 1.
[137] Vgl. Mi­ch­al­ke-Leicht; Sajak: Bitte nüch­tern blei­ben, S. 589.
[138] Vgl. Grill-Ahol­lin­ger, Kon­zen­tra­ti­on und lan­ger Atem: „Grund­wis­sen“ auf­bau­en, in: „Fast wie im rich­ti­gen Leben…“, S. 8.
[139] Vgl. Georg Gnandt: Im­pul­se zu einem (auch) kom­pe­tenz­ori­en­tier­ten Re­li­gi­ons­un­ter­richt, S. 4. Down­load unter:
http://​www.​erz­bis­tum-​koeln.​de/​ex­port/​sites/​erz­bis­tum/​schu­le-​hoch­schu­le/​rel​igio​nspa​edag​ogik/​stein­feld/​vor­tra­e­ge/​2010/​gnandt/​GNANDT_​Kom​pete​nzor​ient​iert​er_​RU.​pdf
[140] Vgl. Mi­ch­al­ke-Leicht; Sajak: Bitte nüch­tern blei­ben, S. 590.
[141] Rupp, Vor­trag in Mühl­acker, 25.3.2010, S. 2.
[142] Vgl. Rupp, Vor­trag in Mühl­acker, 25.3.2010, S. 2.
[143] Rupp nennt hier fol­gen­de The­men: Schöp­fung, Abra­ham, Mose und die Zehn Ge­bo­te, Pro­phe­ten: Amos, Psalm 23, Weih­nach­ten, Wun­der: Bar­ti­mä­us, Barm­her­zi­ger Sa­ma­ri­ter, Gleich­nis­se vom Ver­lo­re­nen, Berg­pre­digt mit Vater Unser, Pas­si­on und Auf­er­ste­hung, Pfings­ten (Vgl. Rupp, Vor­trag in Mühl­acker, 25.3.2010, S. 4)
[144] Vgl. Rupp, Vor­trag in Mühl­acker, 25.3.2010, S. 7.
[145] Vgl. Grill-Ahol­lin­ger: Kon­zen­tra­ti­on und lan­ger Atem: „Grund­wis­sen“ auf­bau­en, in: „Fast wie im rich­ti­gen Leben…“, S. 10.
[146] Vgl. Rupp, Vor­trag in Karls­ru­he, 18.2.2011, S. 12.
[147] Vgl. hier­zu An­re­gun­gen bei Gnandt, Stan­dards in der Pra­xis, S. 229. Er nennt unter an­de­rem fol­gen­de Mög­lich­kei­ten:
Wie­der­hol­ter Ein­satz von be­stimm­ten Me­di­en wie Bil­dern, Tex­ten, Ge­dich­ten, Ge­be­ten; Psalm­ver­sen, die wie­der­holt ein­ge­setzt wer­den, ein Haupt­me­di­um für einen gan­zen Stan­dard­zeit­raun, wie­der­keh­ren­de Leit­mo­ti­ve (z.B. „Blind sein – sehen ler­nen“ in Kl. 5/6)
[148] Vgl. Grill-Ahol­lin­ger: Kon­zen­tra­ti­on und lan­ger Atem: „Grund­wis­sen“ auf­bau­en, in: „Fast wie im rich­ti­gen Leben…“, S. 11.

 

Was ist kom­pe­tenz­ori­en­tier­ter Re­li­gi­ons­un­ter­richt?: Her­un­ter­la­den [pdf] [650 KB]