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In­ter­pre­ta­ti­on und Kom­pe­tenz­be­griff vor dem Hin­ter­grund der Text­sor­ten­ana­ly­se

In­fo­box

Diese Seite ist Teil einer Ma­te­ria­li­en­samm­lung zum Bil­dungs­plan 2004: Grund­la­gen der Kom­pe­tenz­ori­en­tie­rung. Bitte be­ach­ten Sie, dass der Bil­dungs­plan fort­ge­schrie­ben wurde.

Für einen kom­pe­tenz­ori­en­tier­ten In­ter­pre­ta­ti­ons­un­ter­richt in der Ober­stu­fe bie­tet der Be­griff der Text­sor­te in­so­fern eine Hilfe, als er es den Schü­le­rin­nen und Schü­lern er­mög­licht, spe­zi­fi­sche Fra­gen an einen Text her­an­zu­tra­gen, die den Sinn­ge­halt eines vor­ge­fun­de­nen Tex­tes ent­schlüs­seln kön­nen. Der In­ter­pre­ta­ti­ons­un­ter­richt der Ober­stu­fe soll den Schü­lern ein Fra­ge­ras­ter und eine theo­re­ti­sche Leit­li­nie an die Hand geben, die eine mitt­le­re Strin­genz bzw. Fes­tig­keit auf­wei­sen: Ei­ner­seits soll so viel Ge­nau­ig­keit im Zu­gang zu den Tex­ten an­ge­bo­ten wer­den, dass jeder Text, den der Schü­ler im Laufe sei­ner Bio­gra­phie als Leser an­trifft, zu­min­dest von sei­ner Ten­denz und sei­ner Funk­ti­on her er­schlos­sen wer­den kann; an­de­rer­seits wird aber so viel Frei­heit ge­wahrt, dass die in­di­vi­du­el­len In­ter­es­sen der Schü­ler nicht ein­ge­schränkt wer­den und mög­lichst viel Of­fen­heit für neue Text­mus­ter be­wahrt wird.


Ein­ge­schränkt wird die Er­klä­rungs­kraft des Kom­pe­tenz­be­griffs durch die Über­le­gung, dass das wich­tigs­te Ziel einer In­ter­pre­ta­ti­on das Ver­ste­hen ist. Ver­ste­hen ist der Vor­gang, der bei jeder Kom­mu­ni­ka­ti­on auf der Seite des Re­zi­pi­en­ten statt­fin­den muss, wenn man davon spre­chen kann, dass die Kom­mu­ni­ka­ti­on ge­lingt. 

Kom­mu­ni­ka­ti­on be­steht in der Kom­mu­ni­ka­ti­ons­theo­rie des So­zio­lo­gen Ni­k­las Luh­mann [1] [2] aus der Ein­heit von In­for­ma­ti­on, Mit­tei­lung und Ver­ste­hen. Jedes die­ser  Mo­men­te ist in jeder Kom­mu­ni­ka­ti­on gleich­zei­tig an­we­send, aber jeder Teil­neh­mer der Kom­mu­ni­ka­ti­on kann in einem Mo­ment immer nur auf eines Acht geben. Jedes Ele­ment ist dabei eine Ein­heit. Hier in­ter­es­siert das Ver­ste­hen. Es be­steht aus einer Se­lek­ti­on von Sinn­an­ge­bo­ten. 

Es lohnt, die­sen Ge­dan­ken im Blick zu be­hal­ten, weil er die In­tui­ti­on be­griff­lich fasst, dass Ver­ste­hen eine Ein­heit dar­stellt; die­ser Ge­dan­ke bleibt auch dann rich­tig, wenn man sich, wie das hier ge­schieht, darum be­müht, die ein­zel­nen Kom­po­nen­ten auf­zu­schlüs­seln, die zu­sam­men­kom­men müs­sen, wenn ein Leser einen Text ver­steht. [3]

Die zen­tra­le Per­spek­ti­ve für die In­ter­pre­ta­ti­on ist damit die des Ver­ste­hens. Es geht immer darum, den Ver­ste­hens­pro­zess  (in der Schu­le heißt das: dem Ver­ste­hens­pro­zess der  Schü­le­rin­nen und Schü­ler) mit einem all­ge­mein gül­ti­gen Sys­tem be­grün­de­ter und be­währ­ter Kri­te­ri­en zu kon­fron­tie­ren und die­sem Ver­ste­hen damit zum einen eine Ori­en­tie­rung zu geben, zum an­de­ren aber auch Kri­te­ri­en , die eine Un­ter­schei­dung zwi­schen einer sinn­vol­len und einer fehl­ge­hen­den In­ter­pre­ta­ti­on er­mög­li­chen. Das Ver­ste­hen selbst, als se­lek­ti­ver und kon­struk­ti­ver Vor­gang, lässt sich aber nicht re­geln. Es hat immer eine sub­jek­ti­ve Seite, die man auch als den As­pekt der Frei­heit auf­fas­sen kann. Aus der Wahl zwi­schen ver­schie­de­nen Sinn­an­ge­bo­ten lässt sich die Frei­heit des Wäh­lens nicht eli­mi­nie­ren, sonst fin­det eben keine Wahl statt.

Stellt man diese her­me­neu­ti­sche Re­fle­xi­on in Rech­nung, dann er­gibt sich für den kom­pe­tenz­ori­en­tier­ten In­ter­pre­ta­ti­ons­un­ter­richt eine klare Selbst­be­schei­dung: Es gibt keine Ver­ste­hens­kom­pe­tenz, aber es kön­nen be­stimm­te Fer­tig­kei­ten ein­ge­übt , be­stimm­te Pro­ze­du­ren er­ar­bei­tet wer­den, die in dem be­schrie­be­nen Sinne eine Ori­en­tie­rung geben und Kri­te­ri­en ver­mit­teln, die den Schü­lern hel­fen kön­nen, ihre Ein­fäl­le und Be­ob­ach­tun­gen zu ord­nen.

Die Text­in­ter­pre­ta­ti­on soll­te nicht nur die Text­sor­te be­ach­ten, son­dern immer auch die Be­grif­fe der Text­gram­ma­tik her­an­zie­hen, die in der Ein­heit Kom­pe­ten­te Gram­ma­tik­an­wen­dung in der Lek­tü­re­pha­se vor­ge­stellt wer­den.

Die Kri­te­ri­en für die In­ter­pre­ta­ti­on der Texte der la­tei­ni­schen Li­te­ra­tur sol­len hier in zwei Klas­sen auf­ge­teilt wer­den. Die erste Klas­se von Fra­gen kann an alle Texte ge­stellt wer­den, die zwei­te Klas­se ist text­sor­ten­spe­zi­fisch.

 


An­mer­kun­gen und Li­te­ra­tur­hin­wei­se

[1] Ni­k­las Luh­mann: So­zia­le Sys­te­me. Grund­riß einer all­ge­mei­nen Theo­rie, Frank­furt a.M. 1984, Kap. 4: Kom­mu­ni­ka­ti­on und Hand­lung (S. 191-241)

[2] Ni­k­las Luh­mann: Die Ge­sell­schaft der Ge­sell­schaft, Frank­furt a.m. 1997, S. 71-75 u.ö.

[3] Hans-Georg Ga­da­mer: Wahr­heit und Me­tho­de. Grund­zü­ge einer phi­lo­so­phi­schen Her­me­neu­tik (Werke Bd. 1), 7. Aufl. Tü­bin­gen 2010 (Erst­aufl. 1960)