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Klau­sur Pli­ni­us 3,16

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Diese Seite ist Teil einer Ma­te­ria­li­en­samm­lung zum Bil­dungs­plan 2004: Grund­la­gen der Kom­pe­tenz­ori­en­tie­rung. Bitte be­ach­ten Sie, dass der Bil­dungs­plan fort­ge­schrie­ben wurde.

In die­sem Brief preist Pli­ni­us Arria maior, die sehr be­rühmt war, weil sie sich selbst tö­te­te, um ihrem Mann darin Vor­bild zu sein. Die­ser war wegen der Teil­nah­me an einer Ver­schwö­rung gegen Kai­ser Clau­di­us im Jahre 42 n. Chr. zum Tode ver­ur­teilt wor­den, zö­ger­te aber, sich selbst zu töten.

C. PLI­NI­US NE­PO­TI SUO S.
1 Ad­no­tas­se vi­de­or facta dic­taque vi­r­o­rum fe­mi­na­rum­que alia cla­rio­ra esse, alia maio­ra.
2 Con­fir­ma­ta est opi­nio mea hes­ter­no Fan­niae ser­mo­ne. Nep­tis haec Ar­riae il­li­us, quae ma­ri­to et so­la­ci­um mor­tis et ex­emp­lum fuit. Multa re­fe­rebat aviae suae non mi­no­ra hoc, sed ob­scu­rio­ra; quae tibi exi­sti­mo tam mi­ra­bi­lia le­gen­ti fore, quam mihi au­di­en­ti fu­er­unt.
3 Ae­gro­ta­bat Cae­ci­na Pae­tus, ma­ri­tus eius, ae­gro­ta­bat et fi­li­us, uter­que mor­ti­fe­re, ut vi­de­ba­tur. Fi­li­us de­ces­sit exi­mia pul­ch­ritu­di­ne, pari ver­e­cun­dia, et par­en­ti­bus non minus ob alia carus quam quod fi­li­us erat.
4 Huic illa ita funus pa­ra­vit, ita duxit ex­se­qui­as, ut igno­ra­ret ma­ri­tus; quin immo, quo­ti­ens cu­bi­cu­lum eius in­tra­ret, vi­ve­re fi­li­um atque etiam com­mo­dio­rem esse si­mu­la­bat, ac per­sa­epe in­ter­ro­gan­ti, quid age­ret puer, re­spon­de­bat; 'Bene quie­vit, li­ben­ter cibum sump­sit.'
5 De­inde, cum diu co­hi­bi­tae la­cri­mae vin­ce­rent pro­rum­pe­rent­que, egre­die­ba­tur; tunc se do­lo­ri dabat; sa­ti­ata sic­cis ocu­lis, com­po­si­to vultu re­di­bat, tam­quam or­bi­ta­tem foris re­li­quis­set.
6 Prae­clar­um qui­dem illud ei­us­dem, fer­rum strin­ge­re, per­fo­de­re pec­tus, ex­tra­he­re pu­gio­nem, por­ri­ge­re ma­ri­to, ad­de­re vocem im­mor­ta­lem ac paene di­vinam: 'Paete, non dolet.' Sed tamen ista fa­ci­en­ti, ista di­cen­ti, glo­ria et ae­ter­ni­tas ante ocu­los erant; quo maius est sine pra­e­mio ae­ter­ni­ta­tis, sine pra­e­mio glo­riae ab­de­re la­cri­mas operi­re luc­tum, amis­so­que filio ma­trem adhuc agere.
7 Scri­bo­nia­nus arma in Il­ly­ri­co con­tra Clau­di­um mo­verat; fu­erat Pae­tus in par­ti­bus et oc­ci­so Scri­bo­nia­no Romam tra­he­ba­tur.
8 Erat as­cen­su­rus navem; Arria mi­li­tes or­abat, ut simul im­po­ne­retur. 'Nempe enim' in­quit 'da­tu­ri estis con­su­la­ri viro ser­vo­los ali­quos, quo­rum e manu cibum ca­pi­at, a qui­bus ves­tia­tur, a qui­bus cal­cie­tur; omnia sola pra­es­tabo.'
9 Non im­pe­tra­vit: con­du­xit pis­ca­to­ri­am nau­cu­lam, in­gens­que na­vi­gi­um mi­ni­mo se­cu­ta est. Eadem apud Clau­di­um uxori Scri­bo­nia­ni, cum illa pro­fi­te­re­tur in­di­ci­um, ' ego ' in­quit 'te au­diam, cuius in gre­mio Scri­bo­nia­nus oc­cisus est, et vivis? ' Ex quo ma­ni­fes­tum est ei con­si­li­um pul­cher­ri­mae mor­tis non su­bitum fuis­se.
10 Quin etiam, cum Thra­sea, gener eius, depre­ca­re­tur, ne mori per­ge­ret, in­ter­que alia di­xis­set: 'Vis ergo fi­li­am tuam, si mihi pe­reund­um fue­rit, mori mecum?', re­spon­dit: ' Si tam diu tan­taque con­cor­dia vi­xe­rit tecum quam ego cum Paeto, volo. '
11 Au­xe­rat hoc re­s­pon­so curam suo­rum; at­ten­ti­us cus­to­die­ba­tur; sen­sit et 'nihil agi­tis' in­quit; 'po­tes­tis enim ef­fi­ce­re, ut male mo­ri­ar, ut non mo­ri­ar, non po­tes­tis. '
12 Dum haec dicit, ex­si­luit ca­the­dra ad­ver­so­que pa­rie­ti caput in­gen­ti im­pe­tu im­pe­git et cor­ruit. Fo­ci­la­ta 'di­xeram' in­quit 'vobis in­ven­tur­am me quam­li­bet duram ad mor­tem viam, si vos fa­ci­lem ne­gas­se­tis.'
13 Vi­den­tur­ne haec tibi maio­ra illo 'Paete, non dolet', ad quod per haec per­ven­tum est? cum in­te­rim illud qui­dem in­gens fama, haec nulla cir­c­um­fert.
Unde col­li­gi­tur, quod in­i­tio dixi, alia esse cla­rio­ra, alia maio­ra. Vale.

Stamm­baum
Arria maior ∞
Cae­ci­na Pae­tus
Pfeil nach links unten
Pfeil nach rechts unten
Sohn (von dem in 3 die Rede ist) Arria maior ∞ Thra­sea Pae­tus (von dem in 10 die Rede ist)
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  Fan­nia (mit der sich Pli­ni­us ge­trof­fen hat)

Pli­ni­us grüßt sei­nen Nepos
Ich denke be­merkt zu haben, dass die einen Taten und Aus­sprü­che von Män­nern und Frau­en be­rühm­ter sind, an­de­re aber groß­ar­ti­ger. Be­stä­tigt wurde meine Mei­nung durch ein gest­ri­ges Ge­spräch mit Fan­nia. Sie ist die En­ke­lin jener Arria, die ihrem Mann ein Trost und Vor­bild im Tod war. Sie be­rich­te­te mir, dass vie­les ihrer Groß­mut­ter nicht ge­rin­ger, aber un­be­kann­ter ist als die­ses. Und ich meine, dass es für dich, wenn du es liest, eben­so wun­der­bar sein wird wie es für mich war, als ich es hörte.

Krank war Cae­ci­na Pae­tus, ihr Gatte, krank war auch ihr Sohn, beide dem Tode nah, wie es schien. Der Sohn ver­schied, der von au­ßer­or­dent­li­cher Schön­heit und eben­so gro­ßer Ehr­furcht war und sei­nen El­tern nicht nur des­we­gen lieb war, weil er ihr Sohn war. Für ihn be­rei­te­te sie das Be­gräb­nis so, voll­zog sei­nen Lei­chen­zug so, dass ihr Ehe­mann nichts be­merk­te; ja, jedes Mal wenn sie sein Schlaf­zim­mer be­trat, gab sie vor, dass der Sohn noch am Leben sei und sogar um­gäng­li­cher, und als er sehr oft frag­te, was der Junge denn tue, ant­wor­te­te sie ihm: „Er hat gut ge­ruht, er hat gerne ge­speist.“ Wenn dar­auf die lange zu­rück­ge­hal­te­nen Trä­nen sie über­wäl­tig­ten und aus­bra­chen, ging sie hin­aus; dann gab sie sich ihrem Schmerz hin; nach­dem sie ihre Trä­nen ge­stillt hatte, kehr­te sie mit ge­trock­ne­ten Augen und ver­stell­tem Ge­sichts­aus­druck zu­rück, als ob sie den Ver­lust drau­ßen ge­las­sen hätte.
Be­rühmt ist frei­lich jenes von der­sel­ben Art, das Schwert zu zü­cken, sich die Brust zu durch­boh­ren, den Dolch her­aus­zu­zie­hen, dem Mann zu rei­chen und den un­sterb­li­chen, fast gött­li­chen Aus­spruch zu tun: „Pae­tus, es tut nicht weh.“ Aber trotz­dem stand ihr, als sie dies tat und als sie dies sagte, un­sterb­li­cher Ruhm vor Augen; umso groß­ar­ti­ger ist es, ohne den Lohn der Un­sterb­lich­keit, ohne den Lohn des Ruhms die Trä­nen zu ver­ber­gen, die Trau­er zu ver­heim­li­chen und selbst nach dem Ver­lust des Soh­nes noch immer die Mut­ter zu spie­len.

Scri­bo­nia­nus hatte in Il­ly­ri­en zu Waf­fen gegen Clau­di­us ge­grif­fen; Pae­tus hatte daran teil­ge­nom­men und wurde nach dem Tod des Scri­bo­nia­nus nach Rom ge­schleppt. Er war ge­ra­de dabei, das Schiff zu be­stei­gen; Arria bat die Sol­da­ten, zu­gleich mit ein­zu­schif­fen. Sie sagte: „Ihr wer­det einem Kon­su­lar frei­lich ei­ni­ge Skla­ven ge­wäh­ren, aus deren Hand er das Essen neh­men kann, von denen er an­ge­zo­gen wird, von denen er in die Schu­he ge­hol­fen wird; ich al­lei­ne werde alles er­fül­len.“ Sie be­wirk­te nichts; sie mie­te­te ein Fi­scher­boot und folg­te dem gro­ßen Boot mit einem sehr klei­nen. Als die Frau des Scri­bo­nia­nus bei Clau­di­us ein Ge­ständ­nis ab­le­gen woll­te, sagte Arria fol­gen­des: „Ich soll dich an­hö­ren, in des­sen Schoß Scri­bo­nia­nus ge­tö­tet wor­den ist, und du lebst?“ Dar­aus ist of­fen­kun­dig, dass ihre Ent­schei­dung für einen wun­der­schö­nen Tod nicht plötz­lich ge­fal­len ist. Ja, als Thra­sea, ihr Schwie­ger­sohn, sie an­fleh­te, das Ster­ben nicht wei­ter zu ver­fol­gen, und unter an­de­rem ge­sagt hatte: „Du willst also, dass deine Toch­ter, wenn ich ster­ben muss, mit mir stirbt?“, ant­wor­te­te sie: „Wenn sie in so lan­ger und so gro­ßer Ein­tracht mit dir ge­lebt hat wie ich mit Pae­tus, dann will ich es.“ Durch diese Ant­wort hatte sie die Sorge ihrer An­ge­hö­ri­gen noch ver­grö­ßert, man be­wach­te sie auf­merk­sa­mer; sie merk­te dies und sagte: „Ihr könnt nichts ma­chen; denn ihr könnt nur be­wir­ken, dass ich schlecht ster­be, nicht, dass ich nicht ster­be!“ Wäh­rend sie dies sagte, sprang sie vom Stuhl her­vor, schlug ihren Kopf mit ge­wal­ti­gem Schwung gegen die Wand und brach zu­sam­men. Wie­der­be­lebt sagte sie: „Ich hatte euch ge­sagt, dass ich einen auch noch so har­ten Weg zum Tod fin­den werde, wenn ihr mir einen leich­ten ver­wei­gern wür­det!“
Er­scheint dir die­ses nicht groß­ar­ti­ger als jenes „Pae­tus, es tut nicht weh“, zu dem man durch dies ge­lang­te? Wäh­rend jenes in­zwi­schen eine un­ge­heu­re Be­rühmt­heit hat, ver­brei­tet dies kei­ner.

Wor­aus man fol­gern kann, was ich ein­gangs ge­sagt habe, dass das eine be­rühm­ter, das an­de­re aber groß­ar­ti­ger ist.

In­ter­pre­ta­ti­ons­klau­sur La­tein

4

1.

Nen­nen Sie An­lass und Thema des Brie­fes!

 

2.

Der Brief glie­dert sich fol­gen­der­ma­ßen:

1. 1-2
2a  3-5
2b  6
3a  7-12
3b  13a
4.  13b

6

a)

Geben Sie jedem Ab­schnitt eine Über­schrift!

5

b)

Be­grün­den Sie an­hand in­halt­li­cher und sprach­li­cher Merk­ma­le diese Glie­de­rung (Wort­wie­der­ho­lun­gen, Kom­po­si­ti­ons­merk­ma­le, ...)!

10

3.

Stel­len Sie zu­sam­men, wie Pli­ni­us der Jün­ge­re Ar­ri­as Ver­hal­ten be­wer­tet, und ver­glei­chen Sie davon aus­ge­hend die Dar­stel­lungs­for­men von Arria und Pli­ni­us dem Äl­te­ren (Ge­mein­sam­kei­ten und Un­ter­schie­de!

6

4.

Un­ter­su­chen Sie die sti­lis­ti­sche Ge­stal­tung der di­rek­ten Reden der Arria in 9, 10 und 11 (kur­siv) und be­grün­den Sie, wes­halb ihre Reden kunst­voll ge­stal­tet sind!

4

5.

Ty­pisch für die Ge­schichts­schrei­bung ist, dass Hand­lun­gen teil­wei­se ver­kürzt dar­ge­stellt, an­de­re hin­ge­gen ge­längt wer­den. Da­durch ent­ste­hen Sprün­ge oder auch Un­ge­reimt­hei­ten. Ma­chen Sie dies an zwei Bei­spie­len im Brief fest!

5

6.

Zum Cha­rak­ter der rö­mi­schen Ge­schichts­schrei­bung ge­hört, dass sie „die in län­ge­ren Ab­schnit­ten über­ge­ord­ne­te The­sen ver­folgt und sie durch Ein­zel­bei­spie­le evi­dent zu ma­chen ver­sucht.“ (E. Lefèvre, Vom Rö­mer­tum zum Äs­the­ti­zis­mus, Ber­lin 2009, S. 198).
Be­le­gen Sie, dass die­ser Brief His­to­rio­gra­phie bie­tet!

5

 

 

 

 

 

 

 

 

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45

7.

Mar­ti­al 1,13

Casta suo gla­di­um cum tra­de­ret Arria Paeto,
quem de vis­ce­ri­bus strin­xe­rat ipsa suis,
'Si qua fides, vul­nus, quod feci, non dolet,' in­quit,
'sed tu quod fa­cies, hoc mihi, Paete, dolet.'

Als die an­stän­di­ge Arria ihrem Pae­tus den Dolch reich­te,
den sie selbst aus ihren Ein­ge­wei­den ge­zo­gen hatte,
sagte sie: „Wenn ich Glau­ben ver­die­ne: die Wunde, die ich mir zu­ge­fügt habe, schmerzt nicht,
aber die du dir zu­fü­gen wirst, die schmerzt mich, Pae­tus.“

Zei­gen Sie an­hand des Ver­gleichs mit dem Pli­ni­us­brief das un­ter­schied­li­che Cha­rak­ter­pro­fil der Arria auf! Gehen Sie dabei auch auf die sprach­li­che Ge­stal­tung ein!

VIEL ER­FOLG!

 

wei­ter: Er­war­tungs­ho­ri­zont

Klau­sur Pli­ni­us 3,16: Her­un­ter­la­den [doc] [57 KB]