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Ge­dich­te, Lyrik

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Diese Seite ist Teil einer Ma­te­ria­li­en­samm­lung zum Bil­dungs­plan 2004: Grund­la­gen der Kom­pe­tenz­ori­en­tie­rung. Bitte be­ach­ten Sie, dass der Bil­dungs­plan fort­ge­schrie­ben wurde.

Es gibt kei­nen la­tei­ni­schen Ober­be­griff für die Text­sor­ten oder Gat­tun­gen, die im Deut­schen als 'Ge­dicht' be­zeich­net und die z.B. in Ge­dicht-An­tho­lo­gi­en ge­sam­melt wer­den. Für die Schü­ler ist das Wort 'Ge­dicht' al­ler­dings so ge­läu­fig,  dass es einem un­nö­ti­gen Pu­ris­mus gleich­kä­me, ihn im Un­ter­richt zu ver­mei­den. Es ist gleich­wohl sinn­voll, die Schü­ler mit den für die An­ti­ke maß­geb­li­chen Gat­tungs­ein­tei­lun­gen ver­traut zu ma­chen. [1] [2]

Die eu­ro­päi­sche Di­men­si­on des alt­sprach­li­chen Un­ter­richts kann sich z.B. darin er­wei­sen, auch hier ein Tra­di­ti­ons­be­wusst­sein zu ver­mit­teln. Die Schü­le­rin­nen und Schü­ler soll­ten er­fah­ren, dass für selbst­ver­ständ­lich er­ach­te­te Be­grif­fe wie Lyrik, Lied und Ge­dicht eine lange Tra­di­ti­on haben und in ver­schie­de­nen Zeit­al­tern un­ter­schied­lich ver­stan­den wur­den, und zwar nicht etwa von Li­te­ra­tur­wis­sen­schaft­lern, son­dern von der Sprach­ge­mein­schaft. [3] [4]

Der Be­griff 'Lyrik' ist hin­ge­gen dann ir­re­füh­rend, wenn er wie in der Ger­ma­nis­tik als Ober­be­griff für alle Ge­dicht­for­men ver­wen­det wird, denn er um­fasst für die grie­chi­sche Li­te­ra­tur nur ".... die ge­sam­te griech. Dich­tung vom 7. bis zur Mitte des 5. Jh.​v.​Chr. mit Aus­nah­me des sti­chi­schen He­xa­me­ters und des Dra­mas" (E.​Rob­bins; DNP). Für die la­tei­ni­sche Li­te­ra­tur gilt, dass "...​die Ge­dich­te in äo­li­schen Vers­ma­ßen sowie in ly­ri­schen Iam­ben, Tro­chä­en, Ana­päs­ten, Iam­bi­kern", aber auch "iam­bo­gra­phi­sche Epo­den­for­men" zu den Car­mi­na im Sinne der Lyrik ge­zählt wer­den (Th. Fuh­rer, DNP Ein­trag 'Lyrik').


Das lat. Wort 'car­men' be­zeich­net hin­ge­gen "jede Art von ge­sun­ge­nem, re­zi­tier­tem oder auch nicht für den münd­li­chen Vor­trag kon­zi­pier­tem Ge­dicht oder L[ied]." (Th. Fuh­rer, DNP Ein­trag 'Lied', ). Man soll­te - auch im Un­ter­richt - hier im Blick be­hal­ten, dass auch Ver­gil sein Epos als "car­men" be­zeich­net. [5] So sagt der Er­zäh­ler zu Nisus und Eu­ry­laus:

For­t­u­na­ti ambo! si quid mea car­mi­na poss­unt, 
nulla dies um­quam me­mo­ri vos exi­met aevo (Verg. Aen. 9, 446)

Hin­ge­gen ist schon für die An­ti­ke der Aus­druck car­men ly­ri­cum für die Text­sor­te nach­ge­wie­sen, die man heute als Ode be­zeich­net; vgl. Pom­po­ni­us Por­phy­rio, Com­men­tum in Ho­ra­ti car­mi­na 1,6,pr.1 f.: 

[Ho­ra­ti­us] Agrip­pam ad­lo­qui­tur, cuius rebus ges­tis negat se ly­ri­co car­mi­ne sa­tis­fa­ce­re posse, ideo­que po­ti­us a Vario ea scri­bi de­be­re.

Mi­cha­el v. Al­brecht sieht in der ge­sam­ten la­tei­ni­schen Li­te­ra­tur der An­ti­ke nur drei Ly­ri­ker: Ca­tull, Horaz und Pru­den­ti­us (v.​Al­brecht 1994, S. 263).

Neben den ly­ri­schen Ge­dich­ten im en­ge­ren Sinne kann man in der An­ti­ke diese Ge­dicht­for­men un­ter­schei­den:

  • Epi­gramm

  • Ele­gie

  • Bu­ko­lik

 

All­ge­mei­ne Fra­gen an Ge­dich­te:

  1. In wel­chem Vers­maß ist das Ge­dicht ge­schrie­ben?
  2. Kann man das Ge­dicht einer be­stimm­ten Ge­dicht­form zu­ord­nen?
  3. Wer spricht? Das ly­ri­sche Ich: Gibt es im Ge­dicht einen ein­deu­ti­gen, an gram­ma­ti­schen Er­schei­nun­gen be­leg­ba­ren Bezug auf den Spre­cher (Prä­di­kat in der 1. Per­son; Per­so­nal­pro­no­men, Pos­ses­siv­pro­no­men)? Was spricht dafür, was spricht da­ge­gen, das ly­ri­sche Ich mit dem Autor zu iden­ti­fi­ze­ren?
  4. Wie ist das Ge­dicht auf­ge­baut? Ist eine Sym­me­trie der Teile zu er­ken­nen?
  5. Gibt es Wie­der­ho­lun­gen auf der Ebene des Klan­ges, also As­so­nan­zen?
  6. Von wel­chen The­men han­delt das Ge­dicht? Wel­che Welt ent­wirft das Ge­dicht?

 

Bei­spiel­text

Horaz, Ode 1,11 (Car­men ly­ri­cum) mit Auf­ga­ben [6]

Auf die­ser In­ter­net­sei­te von F.​Krem­ser: http://​mem­bers.​aon.​at/​la­tein/ (Na­vi­ga­ti­on: Schrift­stel­ler / Horaz Oden I 11) fin­den Sie den la­tei­ni­schen Text von Horaz' Ode 1,11, die die be­rühm­te Auf­for­de­rung 'carpe diem' ent­hält. Schau­en Sie sich die In­ter­net­sei­te genau an; dort fin­den Sie außer Wort­er­klä­run­gen auch An­ga­ben zur Me­trik und zwei Über­set­zun­gen. Eine wei­te­re Über­set­zung fin­den Sie hier .

Die Fra­gen, an­hand derer die Schü­ler den Text in­ter­pre­tie­ren sol­len, sind auf einem Ar­beits­blatt zu­sam­men­ge­fasst; es sind diese Fra­gen:

  1. Su­chen Sie nach Si­gna­len im Text, die auf einen so­zia­len Hand­lungs­zu­sam­men­hang hin­wei­sen.
  2. Be­schrei­ben Sie die Si­tua­ti­on, in der die­ses Ge­dicht ge­spro­chen wird, und ver­su­chen Sie her­aus­zu­fin­den, wie man sich die Be­zie­hung zwi­schen dem Spre­cher und der an­ge­re­de­ten Frau vor­stel­len kann.
  3. Er­klä­ren Sie den Auf­bau des Ge­dichts. 
  4. Be­schrei­ben Sie, was man sieht und hört.
  5. Er­klä­ren Sie den Satz 'carpe diem', der mitt­ler­wei­le zu einem Sinn­spruch ge­wor­den ist, indem Sie ers­tens un­ter­su­chen, was die­ser Satz im Kon­text der ho­ra­zi­schen Ode be­deu­tet und wie er von den Au­to­ren der In­ter­net­sei­ten ver­stan­den wird, die die­sen Satz als Motto oder Sinn­spruch ver­wen­den; geben Sie dazu ‚carpe diem' als Such­wort bei einer Such­ma­schi­ne ein.
  6. Ver­glei­chen Sie die drei Über­set­zun­gen und er­klä­ren Sie deren Un­ter­schie­de.

Die­ser Ar­beits­auf­trag kann als Word-Do­ku­ment her­un­ter­ge­la­den wer­den:
Her­un­ter­la­den [doc] [31 KB]

Wei­te­re Ge­dich­te wer­den in der Ein­heit ' Wir und die An­de­ren ' dar­ge­stellt (Mar­ti­al 12, 57).

 


An­mer­kun­gen und Li­te­ra­tur­hin­wei­se

[1] Phi­lip Har­die / Ri­chard Hun­ter : Ein­trag 'li­te­ra­ri­sche Gat­tun­gen', DNP

[2] Emmet Rob­bins / The­re­se Fuh­rer: Ein­trag 'Lyrik', DNP

[3] The­re­se Fuh­rer: Ein­trag 'Lied II (Klas­si­sche An­ti­ke)', DNP

[4] Rü­di­ger Zym­ner: Lyrik. Um­riss und Be­griff, Pa­der­born 2009

[5] von Al­brecht, Mi­cha­el: Ge­schich­te der rö­mi­schen Li­te­ra­tur von An­dro­ni­cus bis Boëthius. Mit Be­rück­sich­ti­gung ihrer Be­deu­tung für die Neu­zeit, 2., ver­bes­ser­te und er­wei­ter­te Aufl., 2 Bände, Mün­chen 1994

[6] Wi­ki­pe­dia-Ar­ti­kel über Jo­hann Hein­rich Voß